Totgesagte laufen länger [Hifumi, Elena, SL]

[Mystiker]

Der Blick der Frau veränderte sich. Die Entschlossenheit blieb, aber der Schmerz wich für einige Augenblicke daraus. "Ich danke ihnen." ihre Stimme war leiser geworden. Dann richtete sie sich abrupt auf und marschierte mit erhobenem Kopf aus der Toilette heraus. Nicht aber ohne vorher Hifumis Karte genommen zu haben.

Im selben Moment vibrierte wieder Hifumis Handy.

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Ich sehe die Dame hat die Waschräume verlassen.
Sie sind noch am Leben nehme ich an.
Was haben sie entschieden?

[Hifumi]

Hifumi blickt der Frau hinterher, nimmt diesen vielleicht letzten Moment in sich auf. Ihr Magen verkrampft sich, und sie fühlt einen eisigen Klumpen darin. Sie hat es tatsächlich getan, den Tod eines anderen denkenden, fühlenden Wesen zu veranlassen. Sie, die behütete Vegetarierin, die nicht einmal zuließ dass andere Tiere für sie töteten um sie zu ernähren.

Sie stürzt sich in eine der Kabinen und kotzt sich die Seele aus dem Leib. Danach antwortet sie auch nicht sofort an Elena, sondern geht zum Waschbecken, spült sich den Rachen mit Wasser aus, reinigt ihr Gesicht und zieht ihr Make-Up nach. Dann erst nimmt sie ihr Mobiltelefon in die Hand. Starrt die Nachricht einen Moment an. Schreibt dann ihre Antwort.

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Ich bin noch am Leben, danke der Nachfrage.

Ich würde über das Thema lieber von Angesicht zu Angesicht besprechen.
An einem Ort an dem wir ungestört sind.
Das Obergeschoss von Sears?

[Mystiker]

Die Nachricht von Elena kurz aber pregnant.

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Ich warte dort auf sie.
Lassen sie sich Zeit, wenn sie diese benötigen.

[Hifumi]

Kurze Zeit später findet sich Hifumi tatsächlich in den schummrigen, leeren und leicht verstaubten Korridoren des Obergeschosses von Sears ein. Eine der Orte, wo der Verfall und die Enthropie von Tukwila am deutlichsten sichtbar sind.

Die junge Japanerin holt Luft, als wolle sie erzählen. Schweigt dann lieber. Setzt dann noch einmal an.

"Ich habe den Tod zugelassen.

Das Leben und der Geist der jungen Frau im Kapuzenpullover war durch Drogen verpfuscht worden, und ihr Ziel war der Dealer, der das aus ihr gemacht hat.

Sie hat eine Quelle schlechten Karmas aus dem Rad entfernt, und das von dem Dogendealer verbreitete schlechte Karma fiel auf ihn selbst zurück."

Etwas leiser fügt sie hinzu:

"Abbringen können hätte ich sie wohl sowieso nicht. Sie war unzugänglich für meine Worte, und wenn ich versucht hätte sie mit ihrem Messer körperlich niederzuringen wäre ich eine doofe und wahrscheinlich tatsächlich tote Tussi."

[Mystiker]

Elena schaute auf ihr Handy, während Hifumi zu ihr trat. Die Euthanatos scrollte einige Male über ihr Handy und lies es dann langsam sinken, während sie Hifumi musterte. Schien schien dabei die junge Japanerin vor allem auf Anzeichen von Regungen im Gesicht abzusuchen. Schließlich nickte sie aber einfach nur.

"Sie hat den Mord begangen." Elena hielt Hifumi ihr Smartphone entgegen, auf dem groß "BREAKING NEWS! - Messerattentat in der Tukwilla Mall!" stand. Soweit ich gehört habe war es ein ziemliches Blutbad. Was aber nicht weiter verwundert, wenn es ein Rachemord war."

Sie steckte das Handy wieder in die kleine schwarze Handtasche. "Ich sehe sie hadern mit der Entscheidung. Sie glauben nicht genug getan zu haben. Die Frau war möglicherweise tatsächlich nicht zu retten. Die Frage ist, ob sie nun, da sie gejagt wird ein besseres Leben haben wird. Oder im Gefängnis, wo sie sicherlich einer Gang beitritt und noch mehr mit Drogen konfrontiert wird." legte sie eine mögliche Zukunft der Frau vor der Betschwester aus. Lies das Ergebnis aber offen.

[Hifumi]

Zum Glück hatte Hifumi ihren Magen bereits in der Toilette entleert, denn sonst hätte die aufsteigende Übelkeit häßliche Folgen gehabt, als sie die Folgen ihrer Entscheidung sah. Die behütete Betschwester tat sich schwer mit Gewalt, Blut und ähnlichen Gruseligkeiten, von denen sie bisher abgeschirmt worden war.

"Hadern tue ich eigentlich nicht. Der Tod war notwendig, um das Karma von Tukwila zu reinigen und das Rad zu drehen.
Der Frau droht sicher Unbill, wenn sie nicht entkommen konnte, aber die Leiden der dreifachen Welt sind immer nur temporär. Wenn sie durch die Tür des Todes tritt und wiedergeboren wird, wird ihr gutes Karma ihr ein besseres Dasein verschaffen. Vielleicht wird sie eine bessere Kindheit bekommen, die sie nicht so leicht abgleiten lässt, oder ein besserer Körper wie etwa der eines Mannes."

Die Japanerin zeigt keine Spur Ironie oder Sarkasmus, als sie ihr eigenes weibliches Geschlecht als unterlegen bezeichnet. Sicher auch ein Punkt an dem sie an sich selbst arbeiten müsste, wenn sie ihr volles Potential ausschöpfen will, anstatt in den gewohnten aber sehr engen Glaswänden ihrer Sekte zu verbleiben.

"Ich werde vielleicht herausfinden, wie es ihr ergeht. Ich habe der Frau meine Karte gegeben, und als registrierte Seelsorgerin eines anerkannten Tempels habe ich einen ganz anderen Zugang zum Gefängnissystem, als ein bloßer Besucher."

[Mystiker]

Elena hob bei den Worten der frommen Betschwester eine Augenbraue. "Sie glauben also als ein Mann wiedergeboren zu werden, würde ein "besseres" Leben ergeben? Empfinden sie sich und mich den Männern um uns herum als unterlegen? Sie sind hoch gebildet, ich würde mich ebenfalls als durchaus gebildet ansehen. Gleichzeitig sind wir beide in der Lage jeden Menschen in dieser Stadt zu töten, um das Rad am Laufen zu halten. Wo sehen sie uns also im Nachteil?" Die Euthanatos verschränkte die Arme vor dem Körper.

"Ich bin erfreut darüber, dass sie entschieden haben das Schicksal der jungen Frau und anderer weiter zu lenken. Bedenken sie aber das ihre Hand unsichtbar und der Einfluss doch wirksam sein muss. Und am wichtigsten. Nicht jedes Schicksal kann geändert werden. Manchmal ist es dazu verdammt zu scheitern und letztendlich erst im nächsten Leben eine Chance zu bekommen. Trotz alledem bin ich sehr zufrieden mit dem heutigen Ergebnis und stolz auf sie. Auch, wenn sie noch einen langen Weg vor sich zu haben scheinen." sie kniff die Augen leicht zusammen. "Insbesondere wegen ihrer Glaubensgemeinschaft. Sie hilft ihnen aber sie blockiert sie auch."

[Hifumi]

Hifumi ist ein wenig perplex, als Elena ihre Meinung zur Stellung der Frau in Frage stellt.

"Wir Frauen sind nicht im Nachteil, uns ist nur eine andere Rolle zugedacht. Das Lotus-Sutra berichtet von der Drachentochter, die ihre Weiblichkeit zurücklässt um vollkommene Erleuchtung zu erlangen, denn nur Männer können sie erreichen.

Eine gute Frau unterstützt die Männer um sie herum und folgt den drei Gehorsamkeiten - gegenüber dem Vater als Jungfer, gegenüber ihrem Ehemann als Frau, und gegenüber ihren Söhnen als alte Mutter. So sammelt sie gutes Karma an, um hoffentlich in einer höheren männnlichen Form wiedergeboren zu werden die reif ist für die Erleuchtung."

Ganz überzeugt klingt Hifumi aber nicht - sie hatte gegenüber Elena schon einmal durchblicken lassen, dass sie trotz ihres reifen Alters von 24 Jahren immer noch davor zurückschreckte in den Stand der Ehe zu treten und sich einen Ehemann zu suchen, dem sie sich gehorsam unterwerfen konnte - nein, musste.
Es gab einen Widerspruch zwischen dem gläsernen Gefängnis des Sektenumfeldes, das Hifumi sehr klare und enge Vorgaben gab wie sie ihre Zukunft gestalten durfte und welche Lebensentwürfe sozial akzeptabel waren, und auf der anderen Seite Hifumis persönliches Streben, das einem Dasein als gefügiges Heimchen am Herd so lange wie möglich auswich und sich an akzeptable Ausreden so lange wie möglich klammerte, vom Buddhismusstudium über das Auslandssemester bis hin zum Missionstrip.
Das Paradigma der Mehrheitsgesellschaft im pazifischen Nordwesten fände die Erwartungen einer Sekte, die das japanische Familienbild der Nachkriegszeit reproduzierte und verstärkte, mit der Frau als treusorgendem und gehorsamen traditionellen Eheweib, sicherlich furchtbar antiquiert und rückständig.
Elena hatte sicher nochmals ganz andere Vorstellungen dazu, wie Hifumis Dharma aussah und wie sie es erfüllen konnte. Sehr wenige davon dürften ein Dasein als Tradwife beinhalten, das sich vor den Männern in ihrem Umfeld instinktiv unterwarf.

Hifumi nickt.

"Ja, nicht jedes Schicksal lässt sich binnen einer Lebenszeit zum Besseren wenden. Wahrscheinlich sogar die Mehrzahl aller Schicksale. Die junge Frau von heute gehört sicher dazu - drogensüchtig, verurteilte Mörderin, und hatte sicher auch einen schwierigen Start ins Leben. Aber ich gebe sie trotzdem nicht auf. Ich kann ihr helfen gutes Karma dazu zu gewinnen soweit ich ihr helfen kann, und wenn ich es nicht mehr kann, kann ich ihr immer noch einen guten Tod gewähren für eine Wiedergeburt unter verbesserten Umständen."

[Mystiker]

Elenas Blick wurde noch etwas eisiger, während sie die Worte Hifumis hörte. "Es ist wirklich unglaublich wie sehr sie indoktriniert wurden." sie schüttelte mit dem Kopf. "Wenn wirklich nur Männer die Erleuchtung erreichen können, wie erklären sie sich dann die ganzen weiblichen Magier in der Stadt? Sie alle haben die Möglichkeit Erleuchtung zu erreichen. Auch sie und ich. Es hat nichts mit dem Geschlecht zu tun, sondern mit unseren Avataren."

Die Euthanatos verschränkte die Arme vor der Brust. "Nun immerhin haben sie die Lehren der Euthanatos schneller begriffen, als mein letzter Schüler. Aber trotzdem müssen wir noch die Fäden ihrer Glaubensgemeinschaft um ihr Hirn und ihren Körper kappen. Wie haben sie vor das zu tun?"

[Hifumi]

"Ich... bin gut erzogen worden" gibt Hifumi etwas ausweichend zur Auskunft. "Meine Eltern haben mir vorgelebt, wie eine gute und gesunde Ehe und ein Familienleben im Einklang mit den Lehren von Nichiren Shoshu funktioniert. Der Ehemann als Vorstand des Haushalts, die Ehefrau als seine Stütze, und die brave und gehorsame Tochter die dem guten Vorbild nacheifert und danach strebt, selbst in Zukunft ein gutes Eheweib zu sein."

Die junge Japanerin verzieht ein wenig das Gesicht.

"Wobei ich immer mehr daran zweifle, dass ich dem Vorbild meiner Mutter gerecht werden kann. Ich und meine Schwestern haben nämlich einen neuen Nebenverdienst außerhalb des Tempels gefunden - als Partyprinzessinnen, die man für Kindergeburtstage und ähnliches mieten kann. Ich merke dabei immer mehr, das mir das einfach nicht liegt, mich um Kinder zu kümmern und Kinder um mich herum zu haben. Zumindest lerne ich dabei etwas über das Schneidern -"

Etwas leiser und verschämt fügt sie hinzu:

"- die meisten Kostüme sind doch etwas arg aufreizend und dirnenhaft, zumindest die billigen die wir uns leisten können.
Und... hm... ich mag immer noch nicht die Idee, mich an einen Mann zu binden, mich ihm zu unterstellen und jederzeit bereit zu stehen, zusammen... hm... Kinder zu machen."

Ein bißchen Resignation zeigt sich in Hifumis Blick.

"Der Tempel wird es nicht mögen, wenn ich mit 25 Jahren immer noch nicht unter der Haube bin und als versauerter Weihnachtskuchen ende, der keinen Ehemann abkriegt dem ich mich unterstellen kann. Würde mich zu einem schlechten Vorbild für die anderen jungen Frauen machen. Wir sind schließlich hier um unseren Glauben zu festigen und uns auf unsere künftige Rolle als gefügige Eheweiber und treu sorgende Mütter vorzubereiten, und ich bin dazu da um sie anzuleiten - eigentlich."