Mateo hörte weiter aufmerksam zu, machte sich Notizen, sein Blick wanderte immer wieder zwischen dem Papier und Marcus’ Gesicht hin und her. Die Worte hallten in ihm nach – nicht nur als akademische Impulse, sondern als etwas, das tiefer ging.
Als Marcus geendet hatte, lächelte Mateo schief und kratzte sich am Kopf.
„Wow… das ist wirklich viel Input,“ murmelte er mehr zu sich selbst als zu Marcus.
Er blätterte kurz durch seine Notizen, sah die Seiten voller Gedanken, Querverweise, Fragen.
„Ich frage mich, ob das nicht schon fast ein Thema für meine Bachelorarbeit in drei Jahren ist. Ob es nicht zu viel für eine einfache Hausarbeit ist. Man könnte es kürzen, aber eigentlich sind all diese Impulse und Gedanken viel zu wertvoll, um sie nicht zu nutzen. Das Thema ist genau so spannend, wie ich mir gedacht habe, als ich es zum ersten Mal gesehen habe.“
Er sah Marcus wieder an, sein Blick offen, ehrlich.
„Danke, Dr. Caldwell. Wirklich. Meine Lola hat immer gesagt, dass man Hilfe und Unterstützung nie als selbstverständlich nehmen darf. Dass es immer jemand ist, der einem Zeit und Kraft schenkt – und dass man dafür dankbar sein soll. Und das auch zeigt.“
Er lächelte, diesmal warm und ruhig.
„Ich würde mich freuen, wenn ich mich weiter mit Ihnen austauschen dürfte. Wenn ich mehr über das Konzept des Einen erarbeite… ich komme gerne vorbei.“
Er nickte, als Marcus über den verlorenen Zauber sprach.
„Ja, manchmal frage ich mich das auch. Die Wissenschaft hat der Menschheit viel ermöglicht. Fortschritt, Wohlstand, Verbindung. Die Welt ist kleiner geworden. Aber sie hat auch ihren Preis. Gleuchzeitig ist auch der Geist kleiner geworden.“
Mateo sah kurz aus dem Fenster, als würde er dort eine Antwort suchen.
„Es ist nicht so, dass die Menschheit den Glauben verloren hat. Ich glaube, sie hat ihn verlernt. Kinder kommen mit offenen Augen auf die Welt. Sie sehen mehr. Sie glauben mehr. Aber die Welt lehrt sie, das abzulegen. Wie schön wäre es, wenn wir kindlich sein könnten – ohne kindisch zu sein.“
Als Marcus von den Sphären sprach, überlegte Mateo kurz.
„Die Sphärenharmonie… war das nicht bei Pythagoras? Manchmal auch als Sphärenmusik bezeichnet? Eine göttliche Ordnung, eine Harmonie, die wie ein ewiges Lied durch die Ewigkeiten wirkt?“
Er sah Marcus wieder an, seine Augen leuchteten.
„Ich glaube, die Menschheit kann das wieder entdecken. Trotz aller Technik, trotz aller Rationalität – dieses tiefe Gefühl, dass es etwas gibt, das größer ist als wir selbst, das bleibt. Und es ist so, als würde ein Pendel langsam zurückschwingen. Die Suche nach dem Göttlichen Funken wird wieder stärker.“
Er blätterte in seinem Notizbuch, dann sprach er weiter.
„Viele Konzepte der Sphärenharmonie wurden wissenschaftlich widerlegt. Aber der Kern – dass die Welt eine Harmonie ist, dass das Lied Gottes durch die Ewigkeiten in unsere Welt dringt – der ist wahr. Auch wenn unsere Welt gerade viele Disharmonien aufweist.“
Er hielt kurz inne.
„Was Schiller angeht… ich gebe Ihnen recht. Es war ein gut gemeinter Versuch, der Wissenschaft etwas entgegenzusetzen. Aber auch ein wenig Hybris. In dem Versuch, die Sterne vor der Reduktion zu bewahren, hat er sie selbst in feste Konzepte gepresst. Er hat sie ebenso reduziert, wie die, die er widerlegen wollte. Er hat das Göttliche, das Unfassbare, in Himmelsreflexionen gezwängt.“
Mateo sah Marcus an, sein Blick ernst.
„Aber ich glaube, es war aus einem hehren Ziel heraus. Der Mensch will glauben. Aber er muss etwas sehen, etwas greifen können, um zu glauben. Der Mensch ist oft kritisch, hat das Kindliche verloren. Ein scheinbar unauflösbarer Widerspruch.“
Er schloss sein Notizbuch, legte den Stift beiseite.
„Aber vielleicht… vielleicht ist es gerade dieser Widerspruch, der uns antreibt, weiterzusuchen.“