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Re: Kindergarten-Kult [Hifumi, offen]
Verfasst: Mo 8. Jul 2024, 13:06
von Le Guin
Es war merkwürdig. Wenn man Le Guin so betrachtete, konnte man die Philippinen in dieses Gesicht hineinlesen. Zentralamerika auch irgendwie. Die Form der Augen, die Wangenknochen, die Nase... irgendwie schien es zu passen. Aber wenn man einmal begonnen hatte, auf diese Weise auf ihn zu sehen, konnte man sich auch vorstellen, dass man gar nicht auf einen Mann blickte sondern auf eine Frau. Es war womöglich nur eine Frage des Blickwinkels und wenn man seine Perspektive nur einen kleinen Fingerbreit verschob, konnte man sich auch eine "sie" vorstellen. Es war ein merkwürdiges Schwanken in der Wahrnehmung. Es war wie mit diesen Bildern und optischen Täuschungen, bei denen das Motiv verschiedene Dinge darstellte, je nachdem, wie man es betrachtete.
Alte Frau oder junge Frau,
Landschaft oder Tiger - dieser Moment, in dem man im Erkennen des einen Motivs in das Erkennen des anderen Motivs kippte, fühlte sich genau so an wie dieses Einschätzen von Le Guin.
Dieser wiederum nutzte die Gelegenheit für ein paar Nudeln und die Feststellung: "Das hat mein Boss jetzt auch gesagt. Wenn sie mich erwischen, sperren sie mich ein und ich werde zurückgeschickt nach Mexico", sagte er. "Aber ich war noch nie in Mexico." Er zuckte mit den Schultern. "Aber mein Boss passt auf. Er bezahlt mich schwarz, jeden Arbeitstag und nur bar. Wenn jemand Fragen stellt, soll ich einfach so tun als würde ich die Sprache nicht verstehen, bis er da ist." Er lächelte.
"Klappt bislang ganz gut. Du hättest es noch leichter, weil du immerhin weißt, welche Nummern man braucht", versuchte er, Hifumi aufzumuntern. "Und vielleicht würden sogar einige von deinen Schwestern mit dir kommen. Du bist echt und dich kennen sie."
Re: Kindergarten-Kult [Hifumi, offen]
Verfasst: Mo 8. Jul 2024, 21:28
von Hifumi
Diese Ungenauigkeit von LeGuins Äußerem war einer der Gründe dafür, dass die sonst so verklemmte Hifumi so gelassen blieb, sogar so zutraulich war, um sich am Rock berühren zu lassen und nahe genug zu kommen, um sich ein Essgeschirr zu teilen. Es war eher unverfänglich und unschuldig, so als ob sie mit einer ihrer Schwestern in Loungewear das Sofa teilen würde, als wie ein Date. (Nicht dass Hifumi irgendeine Ahnung davon hatte, wie so ein Date ablief.)
"Oh, du hast einen Boss? Wo und was arbeitest du denn?"
Sie lässt ihre Stäbchen niedersinken, als sie gesättigt ist.
"Meine Schwestern haben meine besonderen Fähigkeiten gesehen und akzeptieren sie, erkennen sie an. Einige würden mir sicher folgen, aber ich muss dann auch für sie einen Weg finden, hier im Land bleiben zu dürfen.
Im Moment versuche ich sie in Arbeit zu bringen, damit wir nicht rein vom Geld des Tempels abhängig sind, aber das ist schwierig. Legal dürfen wir nichts tun, und bei illegalen Sachen hat man, uhm, also da sieht man uns junge Frauen als, naja, dass wir uns nicht so anstellen sollen."
Beim letzten Satz kommt Hifumi wieder ins Stammeln, als fiele es ihr schwer direkt über das Thema zu reden.
Re: Kindergarten-Kult [Hifumi, offen]
Verfasst: Di 9. Jul 2024, 14:53
von Le Guin
"Tja.. ich arbeite in einem Taco-Wagen", meinte Le Guin. "Und mache Tacos. Fünf Dollar die Stunde und manchmal habe ich Glück und jemand gibt mir Trinkgeld. Das behalte ich meist, außer mein Boss erwischt mich. Dann streicht er es ein. Für alles andere bräuchte ich diese Social Security Number... und solche Sachen? Ich habe es immer noch nicht ganz verstanden."
"Wohnen ist schwieriger. Ich muss mein Zimmer jede Woche bezahlen und bei Rückstand werfen sie mich sofort raus. Aber da ich keine Papiere habe, ist das schon besser als nichts."
"Ich habe überlegt, ob ich es hinbekomme, solche Karten und Papiere einfach zu machen. Ich denke schon, mit etwas Übung... aber dann stehe ich ja trotzdem nicht in dem Computersystem. Das ist wahrscheinlich die Hauptschwierigkeit."
Le Guin beschrieb die prekären Umstände von illegalem Aufenthalt, Schwarzarbeit und Urkundenfälschung so wie andere Leute über ihre alltäglichen Probleme von Benzinpreisen, Kindergartenplätzen für die Kleinen oder Karrierechancen fachsimpeln konnten.
"Ich habe mich kürzlich für die
Greencard-Lotterie eingetragen. Aber alle meine Angaben habe ich einfach frei erfunden und konnte mir keinen der Tarife leisten", meinte er dann. "Du könntest da auch mitmachen!" Er überlegte einen Moment. "Vielleicht könntest du sogar gewinnen!"
Re: Kindergarten-Kult [Hifumi, offen]
Verfasst: So 14. Jul 2024, 02:04
von Hifumi
"Ich selbst habe keinen Stundenlohn, keine festen Arbeitszeiten. Ich und meine Schwestern haben einen Festbetrag für den Lebensunterhalt jeden Monat. In Seattle selbst kämen wir damit nicht unter. In Tukwila geht es damit gerade noch so, weil wir uns eine WG teilen und viel selbst kochen, auch als Vorbereitung auf unsere, hnh, künftigen ehelichen Pflichten."
Es erfüllt Hifumi mit sichtlichem Unbehagen, dass ihr Status als Junggesellin irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft enden muss. Dass sie in eine Ehe eintreten müsste, mit einem Mann den sie bekochen müsste, dem sie erlauben müsste sie zu berühren wie es ihm beliebte, für den sie Mutter seiner Kinder werden müsste.
Dass einer jungen Frau auch ganz andere Lebensmodelle offen standen, davon wusste sie nichts, und ihre Sekte legte großen Wert darauf dass sie nichts davon wusste, oder dass sie mit verwirrenden Medien konfrontiert wurde in denen junge Frauen ihre Erfüllung in einer Rolle jenseits von Eheweib und Mutter und fanden.
"Die reinen Papiere bringen dir nichts, sobald jemand genauer nachschaut. Da müssen sie schon mit den Daten im Computersystem übereinstimmen. Lokale Polizisten sind da eher faul, besonders da Seattle und die umgehenden Counties Sanctuaries sind. ICE und andere Feds - die sind schon nen anderes Kaliber."
Hifumi erhebt sich.
"Ich muss wieder zu meinen Schwestern zurück, bevor sie mich vermissen.
Das mit der Greencard-Lotterie werde ich mir mal anschauen.
Und falls dein Vermieter dich wirklich rausschmeißt..."
Hifumi drückt LeGuins Schulter, zeigt Nähe die für eine YWD-Leiterin normalerweise als unangemessen gelten würde gegenüber einem jungen Mann, mit dem sie nicht verlobt war. Sein androgynes Erscheinungsbild nahm ihr da vielleicht einige Hemmungen.
"...naja, melde dich dann einfach bei mir. Ich würde schon eine Lösung finden. Könnte dir mein eigenes Zimmer zuweisen und bei einer meiner Schwestern auf einer Isomatte unterkommen."
Re: Kindergarten-Kult [Hifumi, offen]
Verfasst: Mo 15. Jul 2024, 10:14
von Le Guin
Le Guin lächelte dankbar und herzlich. Er schien an der Berührung jedenfalls nichts seltsam zu finden.
"Ich danke dir", sagte er. "Das Angebot gebe ich gern zurück, für dich oder deine Schwestern. Meine Wohnung ist nicht groß, aber für den Notfall ist sie besser als die Straße und keiner stellt Fragen. Aber hoffentlich läuft es einfach gut und unser nächstes Treffen ist ohne solche Vorzeichen!"
Le Guin hatte nur sehr wenig Ahnung von dieser Welt, aus der Hifumi stammte. Da waren vage Erinnerungen und dieses Gefühl des Leuchtens in der Seele, das Gläubige kannten. Doch er wusste nicht, ob er selbst auch gläubig war. Falls er es war, wusste er nicht, woran er glaubte, was wahrscheinlich ein Zeichen dafür war, dass er es nicht war. Doch er war sich beinahe sicher, so etwas schon einmal erlebt zu haben. Gesehen, vielleicht? Hifumis Welt schien sich auf die vielleicht künstliche Sonne dieses Glaubens auszurichten. In seinem Verstand, der in Metaphern, Bildern und farbvollen Worten arbeitete, war sie wie eine junge Pflanze in einem sorgfältig gepflegten Terrarium. Mit allen anderen jener Glaubensgemeinschaft rang sie um die begrenzten Nährstoffe im sorgfältig bemessenen Boden, um das Licht jener Sonne. Und ihre Aufgabe war, sich dabei schön und gefällig zu entwickeln, so wie das Arrangement des Terrariums es vorsah.
Doch natürlich hatte er heute schon sehen können, dass sie dabei war, an die gläsernen Grenzen ihrer Welt zu stoßen. Was würde passieren, wenn der Druck zu hoch würde?
Mit solchen Gedanken beschäftigt, räumte er die Papptellerreste und vollgemalten Servietten weg. Er hatte keine Antworten auf solche Fragen, doch es waren gute Fragen. Sie waren besser, nahrhafter als alles Asia-Fastfood.
