Emerald City

Selbst in Seattle Downtown hatte Liam sich nie so verloren gefühlt wie hier zwischen den riesigen Bergen aus Schrott, alten Autowracks und Einzelteilen. Oliver hatte ihm eine Liste mit Dingen zusammengestellt die er besorgen sollte um dem alten Pickup ein paar lebensverlängernde Reparaturmaßnahmen angedeihen zu lassen. Soweit so gut. Womit er nicht gerechnet hatte war, dass man ihn an der Rezeption einfach nach hinten auf den Schrottplatz schicken würde um sich die nötigen Teile selbst zusammenzusuchen. Deswegen galt der Laden hier also als super günstig. Man sparte einfach an Service ein. Dumm nur dass er wirklich so gar keine Ahnung von Autos oder Autoteilen hatte. Also stand er jetzt hier. Ratlos. Mit seinem absolut nutzlosen Zettel in der Hand und ließ den Blick über die Schrottiemountains wandern. Na das konnte ja heiter werden…

Wenn ein Besuch auf dem Schrottplatz anstand, umfing Kitty schon Tage davor ein aufgeregtes Kribbeln. Sie genoss es zwischen den Haufen alter Dinge hindurch zu schlendern und all diese Dinge zu entdecken, an denen einst Abenteuer gehangen hatten. Für sie hatte es immer ein wenig den Anflug einer Mission auf den Mond.

So strahlte sie Mikey an, als sie am Schrottplatz ankam und machte sich nach einem kurzen Schwätzchen und der Frage, ob sie in letzter Zeit besondere Schätze bekommen hatten, auf den Weg ins Abenteuerland. Es waren heute nicht viele Leute da - umso besser, so erklärte ihr wenigstens niemand, dass ein Teil auf keinen Fall in ihren Bus passen würde, wenn sie es doch besser wusste. Beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Tour durch die Schrottmountains.

Leise summend, machte die Blondine also auf den Weg Richtung Westen, wo sie die ersten Teile auf ihrer Liste vermutete.

Okay Liam… sieh es ein. Du brauchst echt Hilfe. Sonst würde er noch Stunden ratlos zwischen den Schrottbergen umherlaufen und am Ende ohne ein einziges Ersatzteil nach Hause fahren. Sein Blick wanderte über die wenigen anderen Besucher.
Ein älterer Herr der es ziemlich eilig zu haben schien. Der disqualifizierte sich damit bereits als potentielle Hilfe. Leute die so zielstrebig unterwegs waren, hatten meistens keine Zeit. Ein junger Mann der aus irgendeinem Grund leise Liams Alarmglocken klingeln ließ. Es war nichts Offensichtliches, dass er konkret hätte benennen können. Aber irgendetwas ließ ihn zögern den Mann anzusprechen. Und zuletzt eine junge blonde Frau die aus Richtung der Rezeption auf die Lichtung zwischen den Ersatzteilhügeln trat und einen Moment seinen Blick einfing. Es vergingen ein zwei Sekunden bevor er sie erkannte. Das war doch die Bedienung aus dem Black Dahlia. Vom Karaokeabend. Da er sie als sehr offen und freundlich in guter Erinnerung behalten hatte entschied er sich bei ihr nach Rettung zu suchen und ging zu ihr hinüber.
„Uhm hey… Kitty richtig?“
Er ließ ihr einen Moment zeit ihn zur Kenntnis zu nehmen und zu prozessieren wer er war. Auch wenn er nicht glaubte, dass sie sich unbedingt an ihn erinnerte.
„Liam. Ich war beim Karaokeabend.“

Ihr Summen war zu einem Pfeifen geworden, da sprach sie plötzlich jemand ansprach. Abrupt brach das Pfeifen ab und Kitty drehte sich um. Für einen Moment schien sie ein wenig irritiert, dann erblühte ein offenes Lächeln auf den hübschen Zügen, als sie ihr Gegenüber erkannte.

"Oh hi Liam." Ob sie sich wirklich an ihn mit Namen erinnerte oder nicht, ließ ihre freundliche Miene nicht erahnen. Sie schien sich ehrlich zu freuen, ihn hier zwischen den Bergen Altmetalls und anderen Schätzen zu treffen. "Ich hab dich noch nie hier gesehen, glaub ich. Dabei kann man hier richtig coole Sachen abstauben." Wenn Kitty das so sagte, konnte man beinahe glauben, dieser spezielle Schrottplatz wäre der place to be - und jeder, der ihn entdeckte, hätte endlich ins Licht gefunden.
Lächelnd legte sie den Kopf schief. "Kennst du dich denn schon aus?"

Liam lächelte schief.
„Das liegt daran, dass ich das erste Mal hier bin.“
Und wenns nach ihm ging dann überließ er es Oliver das nächste Mal wieder die richtigen Teile zu besorgen.
„Weißt du das Problem ist… ich kenn mich überhaupt nicht aus.“
Er wedelte etwas hilflos mit der Teileliste durch die Luft.
„Mein Auto ist eigentlich unser Auto. Und uns ist ich und mein Mitbewohner. Und er ist eigentlich der Schrauber von uns beiden. Ich bin nur hier um die Teile zu besorgen die er braucht. Allerdings kenn ich mich echt gar nicht mit solchen Sachen aus und naja… ich hatte gehofft du könntest mich vielleicht zumindest in die richtige Richtung drehen.“
Er zuckte mit den Schultern wie ein Kind das in einem Kaufhaus verloren gegangen war.

Kittys Gesicht leuchtete auf, als hätte ihr das Universum gerade ein wunderschönes Geschenk gemacht. Ihr erstes Mal hier war besonders gewesen, ja beinahe magisch - und der Gedanke, dieses Erlebnis teilen zu können, gefiel ihr gut. Auch wenn er sagte, er sei kein Schrauber, würde er vielleicht die Liebe dazu finden. Und dann konnte sie der Engel der Automechanik sein. Das würde bestimmt Spaß machen.
"Ah verstehe. Kein Problem, ich helf dir gerne." Sie grinste und zeigte dann auf seine Liste. "Dann zeig mir doch mal, was er dir aufgeschrieben hat. Wir finden sicher alles."

Kittys Begeisterung hatte etwas ansteckendes. Auch wenn er sich bisher nie besonders für Autos interessiert hatte, schwappte ihr Enthusiasmus auf ihn über und seine Stimme wurde lebhaft als er ihr von dem Patienten zu erzählen begann. Und er liebte dieses spezielle Auto, sein… beziehungsweise ihr Gemeinschaftsauto, ja auch durchaus.
„Das Auto ist ein FORD F250 Pickup. Ich glaube Baujahr 1985. Er ist so weit echt gut in Schuss, aber naja man muss halt immer mal wieder was dran machen. Also ich mach nicht so viel dran. Ich wasche ihn meistens nur. Mit Wasser kenne ich mich als Meeresbiologe besser aus als mit Öl.“
Er lächelte schief als er das sagte.
„Aber mein Mitbewohner ist ein ziemlich versierter Schrauber. Das Budget reicht halt meistens nicht für ganz neue Teile.“
Er reichte ihr die Liste damit sie sich selbst einen Überblick verschaffen konnte. Das meiste waren typische Kleinteile. Ventile, Ringe und Schrauben die man als Privatperson nicht ohne weiteres als einzelnes Stück im Handel erwerben konnte. Das größte Teil auf die Liste war ein Endtopf für die Auspuffanlage. Vermutlich war der alte mittlerweile weggerostet. Eine ganz typische Alterserscheinung.
„Was fährst du für ein Auto?“
Vermutlich war sie nicht nur hier um in den Schrottiemountains wandern zu gehen.

Kitty grinste breit. "Ah, einer aus der Super Duty Reihe, sehr cool", urteilte sie fachmännisch und sah Liam neugierig an. "Und bestimmt super praktisch für dich als Meeresbiologe. Der zieht dir wirklich so einige Boote."
Sie strich sich das lange, blonde Haar aus den Augen und wollte dann wissen: "Was machst du denn so als Meeresbiologe? Darfst du mit Walen tauchen?"

Dann widmete sie sich der Liste. Studierte sie als wäre sie ein antiker Text, der ihr die Geheimnisse des Lebens. Dann nickte sie nachdenklich als sage ihr diese Liste absolut alles, was sie wissen musste - über die Welt und über Liam. "Ein Endtopf, klar. Ventile, gar kein Thema… aber hier – der Katalysator? Die werden direkt vom Hof geklaut, bevor sie überhaupt an ihrem Platz landen. Wenn du einen findest, ist er wahrscheinlich leergekratzt. Wir können mal schauen, ob wir einen finden. Wenn nicht, kann ich mal gucken, ob ich anders wo billig an einen komme - also wenn dir das Recht ist.“

Und schließlich verkündete sie mit stolzgeschwellter Brust: Ein alter Ram Van. Ich hab ihn mir ausgebaut, als ich nach Seattle hoch bin. Da kenn inzwischen jeden Bolzen persönlich. Die sind super treu, wenn man sich gut um sie kümmert"

„Das Auto ist wirklich maximal praktisch. Wanderausrüstung. Zeltkram. Kajak. Einfach alles drauf schmeißen und Plane drüber.“, bestätigte er.
„Und ja, Boote ziehen tut er mit links.“
Ab und an war das tatsächlich mal notwendig, wenn bei den Soundkeepern spezielle Aufgaben anfielen. Ihre Frage zauberte ihm dann ein fast verträumtes Lächeln auf das Gesicht.
„Manchmal. Ich hatte das große Glück, dass ich tatsächlich schon mal mit Walen tauchen durfte. Im Eismeer. Aber das Betätigungsfeld ist groß. Ich persönlich möchte später in die Forschung gehen und mich um Umwelt- und Artenschutzprojekte kümmern. Arbeitest du Vollzeit im Black Dahlia oder machst du das nur nebenbei?“
Jobs in der Gastro waren ja häufig genug eher Nebenverdienste.
Er versuchte ihren Ausführungen zu folgen und natürlich war ihm auch auf einer sehr theoretischen Ebene klar was ein Katalysator im Auto tat und dass er irgendwo in der Abgasanlage saß, aber damit mit war sein Wissen zu diesem Thema auch schon ausgeschöpft.
„Was macht die denn so wertvoll, dass es sich lohnt die zu stehlen? Oder gehen die einfach so häufig kaputt?“
Vielleicht war das mit dem klauen vom Hof ja metaphorisch gemeint.
„Oh cool! Das ist ja toll. Ich würde mir ja später gerne ein Boot ausbauen und da wohnen. Aber dafür muss ich noch ein bisschen an meinen Heimwerkerfähigkeiten arbeiten. Ich bewundere das total, wenn Leute handwerklich versiert sind. Wo kommst du denn her, wenn du nicht aus Seattle bist?“

"Richtig gut." Kitty grinste. Mit dieser Autowahl schien er sie schon einmal beeindruckt zu haben.
Und bei der Erwähnung des Eismeers strahlte sie noch mehr. "Oh das ist bestimmt richtig cool - und eisig. In welche Richtung willst du denn mit deinen Schutzprojekten gehen? Also was willst du schützen?"
"Nee, ich arbeite da schon Vollzeit. Ganz langweilig also." Sie schmunzelte ein bisschen selbstironisch. "Aber ich nutze meine freie Zeit für den Wagen und dann eben fürs Reisen. Ich mag das einfach loszufahren und zu gucken, wo man ankommt."

"Naja" Sie sah ihn an, als könnte sie gleich das größte Geheimnis dieser Hemisphäre enthüllen. "Da ist Platin und Palladium drin - das kann man gut verkaufen. Man muss ihn eigentlich nur auskratzen."

Auf die Frage, wo sie herkam, schwieg sie allerdings eine Weile. Beinahe als hätte er damit einen wunden Punkt getroffen. Dann aber gab sie sich einen Ruck und grinste wieder - auch wenn es dieses Mal ein klein wenig gezwungen wirkte. "Arcata in Humboldt County. " Sie klang ein wenig einsilbig, doch als sie Liam ansah, war wieder alles beim alten. "Und du so?"