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Kindergarten-Kult [Hifumi, offen]

Verfasst: So 5. Mai 2024, 15:13
von Hifumi
Das Japanischen Kulturzentrum lag an der 1414 South Weller Street in Little Saigon, einer Ecke in Seattle die hauptsächlich von Vietnamesen, aber auch anderen Asiaten bewohnt wurde.
Am 5. Mai, Sonntag, fand hier seit 11 Uhr vormittags der Kodomo no Hi statt, ein besonderer Aktionstag für Kinder und Familien.

Zahlreiche Attraktionen wurden geboten, Kampfkunstvorführungen, traditionelle Tanz- und Musikdarbietungen, Teezeremonien, Einweisungen in die Benutzung von Eßstäbchen, Essensstände, irgendwas vom Konsulat - und irgendwo war da auch ein Stand von Nichiren Shoshu.

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Dieses Mal sind die Kultistinnen aber nicht darauf aus, aggressiv Werbung zu machen. Sie präsentieren sich als höfliche, nette und freundliche junge Damen, eine ganz harmlose Glaubensgemeinschaft, die zur Community beitrug.
Ein großes Pappschild ist in Wasserfarben mit einer etwas impressionistisch wirkenden Stadt unter einem sternengeschmückten Nachthimmel bemalt, voller Türme und Paläste und Minarette, die aus dem dampfenden Dschungel aufragen - für Kenner als die illusionäre Stadt aus dem 7. Kapitel des Lotus-Sutra zu identifizieren.

Auf einem niedrigen Klapptisch befindet sich eine Kiste mit Vogelsand, aus der die Kinder Säckchen erbeuten können, mit einem etwas mißratenen Lebkuchenbuddha, Naschwerk, und einem Zettel der in einfachen kindgerechten Worten das 7. und das 15. Kapitel des Lotus-Sutra nacherzählte - letzteres über die Buddhas, die der Erde entspringen.

Daneben gibt es auch ausmalbare Mandalas, Kinderschminken und viele andere kleine Attraktionen, um die Kinder anzulocken und zu erfreuen.
Die Flyer und Pamphlete bleiben fast wie Blei in ihrer Ecke liegen, dafür scheinen viele Eltern um so froher zu sein einen Ort zu haben wo sie ihre Kinder oder einen Teil davon abgeben können.

Nun, am Nachmittag, ist Hifumi müde, zermürbt, hungrig und pausenbedürftig. Sie waren alle früher als sonst aufgestanden, um die Sonntagsmesse zu zelebrieren und es noch rechtzeitig nach Little Saigon zu kommen, um den Stand zur Eröffnung aufgebaut zu haben. Das Mittagessen hatten sie auch übersprungen.
Tausend Probleme gehen ihr durch den Kopf. Wo war die Mutter des schon seit 20 Minuten heulenden kleinen Timmy? Wie bekam man Wachsmalfarbe aus dem Rock? Wo gab es einen Wischmob für den Kotzefleck, den die kleine Shaqaylleene hinterlassen hatte nachdem sie Vogelsand gefressen hatte? Und würde sich endlich eine Lücke im Andrang finden, damit sie sich eine halbe Stunde vom Stand verabschieden und ihrer Stellvertreterin das Feld überlassen konnte, damit sie endlich auch mal was essen konnte?
Aber nach außen zeigt Hifumi nichts davon. Sie ist fröhlich, quirlig und immer freundlich lächelnd. Eine spirituelle Wölfin, die viel viel Kreide gefressen hatte, aber nun dringend was zwischen die Kiemen kriegen musste bevor der Wolfshunger mit ihr durchging und sie dem kleinen Timmy den Kopf abbiss um ihn ruhig zu stellen.

Re: Kindergarten-Kult [Hifumi, offen]

Verfasst: Di 7. Mai 2024, 11:47
von Le Guin
Le Guin war hier, weil hier Menschen waren und weil alles hier ihn an etwas erinnern wollte, das er nicht richtig greifen konnte. Er schaute sich Vorführungen an und sah eine Weile einer Frau aus der Lokalpolitik dabei zu wie sie für ihr PR-Team und die Presse vor verschiedenen Ständen und mit verschiedenen mehr oder weniger asiatisch aussehenden Leuten posierte.

Er versuchte das Posieren sogar selbst, auch wenn kein einziger Fotograph sich dafür interessierte. Doch es gab einen Spiegel bei einem der Stände mit den Kampfkünsten und das war gut genug. Wenn Le Guin seine Haare etwas anders legte und den Kopf ein wenig schräg hielt, sah er tatsächlich asiatisch aus. Er konnte als Weißer nur durchgehen, wenn er sich etwas heller schminkte - das hatte er bereits festgestellt. Gut für alles, was mit der Polizei oder den Behörden zu tun hatte - das hatte er ebenso festgestellt. Doch ohne Schminke war es wohl eine sehr wilde Mischung, bemerkte er hier vor dem Spiegel. Es war noch nicht einmal ganz klar, ob er wirklich "er" war oder vielleicht eher "sie" oder irgend etwas dazwischen oder nichts von alledem. Tatsächlich hatte er sich ursprünglich für "er" entschieden, weil er einen eher maskulin geschnittenen Dreiteiler getragen hatte. Doch das hätten, so aus dem zeitlichen Rückspiegel betrachtet, auch einfach die Einflüsse aus der Mode aus den 80ern sein können, die Schulterpolster und der eher V-förmige Schnitt des Blazers.
Kurz gesagt brachten weder das Posieren noch das Schlendern oder Beobachten Le Guin sonderlich weiter, doch sie umspülten ihn mit Geräuschen, Gerüchen, Anblicken, Eindrücken und das war gut.

Als er Hifumi sah, wollte er eigentlich schon wieder umdrehen. Die junge Frau wirkte wie in ihrem eigenen Universum gefangen und es war sehr eng und eher klein und es schien beinahe zwangsläufig darauf hinauszulaufen, dass entweder sie oder die engen Grenzen wachsen, weiten oder brechen mussten. Er hatte ein wenig Angst davor, direkt daneben zu stehen, wenn das geschah. Doch zugleich war es auch interessant und von den vielen Eindrücken hier war es einer der wenigen, die ihm nicht vage bekannt vorkamen ohne dass er sich erinnern konnte, weshalb genau. Dies hier war etwas Neues, Eigenes: Eine Geschichte, die erst noch geschrieben werden würde und vielleicht irrte er sich gründlich in seinen Vermutungen.

"Hallo", grüßte er sie. Und weil nicht jeder sich sogleich an jemanden wie ihn erinnerte, der nirgendwo gänzlich dazugehörte aber doch überall ein wenig, fügte er sicherheitshalber hinzu: "Wir waren gemeinsam auf dem Boot und der Versammlung."
Aus irgendeinem Grund hatte er das Bedürfnis, ihr eine Blume zu überreichen. Völlig unklar, woher das Bedürfnis kam und er hatte auch keine Blume und vermutlich wäre es grob unhöflich, aus einem der Flyer eine Papierblume zu falten. Also sagte er in bescheidenem Ernst:

"Die stille Wasserrose
Steigt aus dem blauen See,
Die feuchten Blätter zittern,
Der Kelch ist weiß wie Schnee."


Es war ein Zitat und die Worte beschworen die Kühle der Blüte und der Wasser, die Reinheit und eine feine Stille, die in dem angespannten Trubel hier ganz und gar zu fehlen schien. Das war die beste Blume, die er auf die Schnelle für sie hatte finden können, also lächelte er vorsichtig und hoffte, es wäre genug.

Re: Kindergarten-Kult [Hifumi, offen]

Verfasst: Di 7. Mai 2024, 20:42
von Hifumi
Auch Hifumi würde am liebsten wieder umdrehen, nachdem LeGuin das Gedächtnis der jungen Japanerin aufgefrischt hatte. Da war sie wieder, diese verborgene Welt die so plötzlich in ihr Leben hineingebrochen war, die ihr heimliche Treffen abseits der gegenseitig überwachenden Augen und Ohren iher Mitkultistinnen abverlangte - und nun war da eine als männlich gelesene Person, mit gefälligem Äußeren, Vertrautheit mit Hifumi zeigend und ihr ein Gedicht vortragend! Ganz wie in diesen Liebesromanen! (Zumindest stellte Hifumi sich so Liebesromane aus Erzählungen anderer vor, selbst lesen hatte sie solchen gegen die drei weiblichen Gehorsamkeiten gerichteten Schund nie dürfen.)

Nach außen zeigt Hifumi das nicht, genauso wenig wie ihre Müdigkeit, Zermürbtheit und vor allem diesen furchtbaren Hunger. Sie trägt weiterhin ihre Maske des freundlichen Lächelns, und direkt unter der Haut die Persona quirligen, fröhlichen und furchtbar netten jungen Frau die es liiieeebt sich um die Blagen Wildfremder zu kümmern und er es gaaar niiiichts ausmacht wenn sie ihren Rock mit Wachsmalkreise einsauen, das Lotus-Sutra sei mit Euch!

Die Japanerin bemühte sich um Schadenskontrolle und spricht betont laut, LeGuin mit ihren Pupillen auf die anderen Kultistinnen um sie herum hinweisend.

"Aber mein Herr, ich habe mich doch gerne um Euren Neffen gekümmert. Aber ich mag das Gedicht trotzdem sehr gerne!

Wenn Ihr mir einen Gefallen tun wollt, wollt Ihr mir vielleicht zeigen wo die Essensstände zu finden sind? Mein Mittag ist ohnehin überfällig!"


Etwas dick aufgetragen und bemüht[1] - aber in dem Trubel, wo auch die anderen Kultistinnen alle Hände voll zu tun hatten und nicht so genau darauf achten konnten mit wem Hifumi über was sprach, reichte es hoffentlich.
Die Frage war, wie lange reichte es noch? Wann würden die anderen Sektiererinnen mißtrauisch, wohin sie sich so oft abseilte und mit wem sie sich da traf? Wann würde einer der Priester aus Kalifornien in einer Konferenz andeuten, wie wichtig Keuschheit, Gehorsam und enge Gemeinschaft mit den anderen jungen Frauen für eine YWD-Leiterin seien? Oder Tukwila eine neue strengere und zuverlässigere YWD-Leiterin zuteilen, Hifumi für ihre Dienste danken und sie als einfaches Mitglied an die ganz kurze Leine nehmen?

[1] Manipulation + Ausflüchte: 1 Erfolg Link

Re: Kindergarten-Kult [Hifumi, offen]

Verfasst: Mi 8. Mai 2024, 14:51
von Le Guin
Das war eine Reaktion, die Le Guin absolut nicht erwartet hatte, obwohl er nicht genau wusste, was er überhaupt erwartet hatte. Vieles war noch so völlig verwirrend, neu, seltsam fremd und vertraut zugleich.
Doch er versuchte meist, höflich zu sein - und wenn das nicht gelang, dann wenigstens einigermaßen charmant zu bleiben. Und wenn auch das mißlang, dann blieb immerhin noch Ehrlichkeit. Mit genau diesem Charme - oder wenigstens Ehrlichkeit - lächelte er dann also und meinte mit all der Expertise über das hiesige Essensangebot, die er beim Schlendern gerade erst aufgeschnappt hatte:

"Aber sicher. Ich glaube, hier sind die Preise völlig überteuert, aber es gibt einige Kübel Instant-Miso-Suppe und die Ergebnisse aus den Sushi-Kochkursen und ein paar große Woks mit zu viel Soyasauce", sagte er ohne Illusionen über die Qualität von irgend etwas davon. "Auf der anderen Straßenseite ist eine Pizzeria, aber die Pizzen sind 20$ aufwärts." Auch das war ein etwas trauriger Erfahrungswert, denn die Pizzen hatten gut ausgesehen und vor allem gerochen, im Gegensatz zu dem Inhalt von Le Guins Portemonnaie, der hauptsächlich schmal aussah und etwas modrig roch.

"Ich könnte dich zu zu Instant-Ramen einladen", überlegte er, denn das war das Einzige, was er sich in den letzten Tagen hatte leisten können und er war ziemlich gut damit geworden, fand er. "Wenn wir irgendwoher Wasser bekommen. Oder wenigstens Flüssigkeit auf Wasserbasis."

Re: Kindergarten-Kult [Hifumi, offen]

Verfasst: Mi 8. Mai 2024, 21:44
von Hifumi
"Die Pizzeria klingt gut, aber ich will nicht zu weit weglaufen - die anderen brauchen mich." In Hifumis Augen scheint der wölfische Hunger durch. "Und große Woks mit viel Sojasauce klingt gerade nach genau dem richtigen für mich. Meine Einladung, diese amerikanischen Portionen sind sowieso zu viel für mich alleine."
Auch wenn es wahrscheinlich Reste vom Lunch Rush aus der Warmhaltung sind, furchtbar amerikanisiert - Sojasauce machte so manches Verbrechen genießbar, und in ihrem Zustand ging es der Japanerin vor allem um viel und warm und vor allem schnell.

Hifumi steuert schnellen Schrittes auf den Wokstand zu. Sie mag nur eine zierliche junge Frau sein, aber irgendwie scheint sich immer gerade vor ihr zufällig eine Lücke im Gedränge zu bilden, die es ihr erlaubt mühelos und ohne Verzögerung ihrem Ziel näher zu kommen - vielleicht Hifumis gutes Karma für ihre vielen kleinen guten Taten heute, oder schlichtweg die Verbundenheit der Chakravanti mit Schicksal und Zufall.

Beim Wokstand wählt sie dann auch die Schlange, die am schnellsten fertig ist, und kann ihre Bestellung aufsagen, während sie ihren Gutschein für Voluntäre vorzeigt: "#317, mit Einweg-Chopsticks."
Mit einem Seitenblick auf LeGuin fügt sie hinzu. "Und einem Einweg-Löffel." Sie war sich nicht sicher, ob Eßstäbchen etwas waren womit LeGuin umgehen könnte. Wenn doch, konnte er sie korrigieren. Oder wenn Bratnudeln mit Gemüse und Tofu nicht nach seinem Geschmack waren. Umstimmen können würde er Hifumi nur schwerlich - es war die einzige vegetarische Option, und die strenggläubige Buddhistin hatte starke Vorbehalte dagegen, unnötig Leben zu nehmen.

Re: Kindergarten-Kult [Hifumi, offen]

Verfasst: Do 9. Mai 2024, 10:00
von Le Guin
Le Guin hatte keine Einwände, hauptsächlich, weil er neugierig war, was das alles bedeutete. Und weil er nicht wusste, wie Tofu, Bratnudeln oder Gemüse schmeckten. Er wusste vage, wie Essstäbchen in der Hand lagen oder ein Löffel, aber dass sich hinter den Essmanieren die Ansätze ganzer Kulturen verbargen, war ihm schleierhaft.

Er bewunderte die Leichtigkeit, mit der Hifumi durch die Gruppe Menschen vor dem Stand navigierte. Es war wie magisch - die Sorte von Magie, die tausende Vögel sich zugleich erheben ließ ohne dass sie aneinander stießen. Die Magie des einzelnen, silbernen Fischs in einem gigantischen Fischschwarm, die Magie des Moments, der Drehung von Galaxien, Universen, Spulen und Spulen von Zeit und Schicksalen. Das war etwas, das er irgendwoher kannte, ein wenig besser als Löffel oder Essstäbchen, ein wenig schlechter als 三國演義, the Romance of the Three Kingdoms, oder Shakespeare's gesammelte Werke. Er lächelte, weil es ihn ahnen ließ, dass vor Hifumi ein Weg voller Wunder und Unheil liegen würde, der sicherlich ganz eigene Zeilen verdienen würde. Und natürlich lächelte er auch, weil tatsächlich eine gute Möglichkeit bestand, dass er etwas zu Essen bekam, was er selbst chronisch vergaß und womit er auch nicht viel anzufangen wusste.

Von eigentlich allem abgelenkt bekam er darum nicht mit, wie hinter ihm die Lokalpolitikerin mitsamt einem kleinen Gefolge aus Beleuchtung, Fotografen und einer überschminkten Reporterin anrollte. Offenkundig war das Ziel ein Foto am Wokstand, wahrscheinlich mit Essstäbchen, auch wenn Councilwoman Barbara Kettle auch nicht wie eine Chopstick-Virtuosin aussah.

Re: Kindergarten-Kult [Hifumi, offen]

Verfasst: Sa 11. Mai 2024, 01:10
von Hifumi
An einem der runden Stehtische um den Wokstand herum, die jetzt außerhalb der Stoßzeit nach dem Lunch Rush nicht mehr so frequentiert sind, stellt Hifumi die Styroporschale mit den Bratnudeln ab. Trotz ihrer Ausgenhungertheit ergreift sie ihre pinke Plastikgebetskette und segnet das Mahl, mit Worten die sie wohl schon viele Male aufgesagt hat - und Le Guin mit einem scharfen Blick mahnend, sollte er sich auf das Essen stürzen bevor sie fertig gesprochen hatte:

"Die Lichtstrahlen von Sonne, Mond und Sternen, die unsere Leiber laben, und die fünf Getreide der Erde, die unsere Seelen laben, sind allesamt Geschenke des Ewigen Buddha. Selbst ein Tropfen Wasser oder ein Körnchen Reis sind nichts anderes als das Ergebnis ehrbarer und schwerer Arbeit. Möge dieses Mahl und helfen die Gesundheit von Körper und Geist zu erhalten, und uns die Lehren Buddhas ins Gedächtnis rufen die vier Gefallen zurückzuzahlen -
an die drei Schätze Buddha, Dharma und Sanga;
an unsere Eltern und Ahnen;
an die Nation und Gesellschaft in der wir leben und zu Gast sein dürfen;
und an die gesamte Menschheit.

Möge das Mahl uns erlauben, unsere Kräfte in den hehren Dienst an andere zu stellen.

Nam-Myoho-Renge-Kyo."


Nachdem sie ihre religiöse Pflicht getan hat, versenkt die sonst so adrette und gezierte Hifumi mit atemberaubender Geschwindigkeit ihre Einweg-Eßstäbchen in der sojagetränkten Masse, und befördert sie eben so schnell in ihren Mund. Und erneut, und erneut, und erneut.
Die junge Frau ist ersichtlich ausgehungert, und Le Guin würde sich ranhalten müssen, wenn er auch noch etwas abbekommen wollte.

Um die Lokalpolitiker und deren Entourage kümmert sich Hifumi nicht sehr, im Moment sieht sie in erster Linie das schon lange überfällige Mittagessen, und in zweiter Linie ihre nagende Pflicht gegenüber ihren Schwestern - das bestehende Maß an Selbstaufopferung war niemals gut genug für eine junge Frau in Nichiren Shoshu, und besonders eine YWD-Leiterin musste mit gutem Beispiel voran gehen und immer noch ein Stückchen mehr leisten. Wie etwa dadurch, dass sie ihre Mittagspause kürzer hielt als ihr zustand und mit tugendprotzerischem Tatendrang vorzeitig bereit stand um ihren Dienst gestärkt erneut zu verrichten, gepriesen sei das Lotus-Sutra.

Re: Kindergarten-Kult [Hifumi, offen]

Verfasst: Fr 17. Mai 2024, 14:54
von Edith Blunt
Auch Edith war an diesem Tag zu den Festlichkeiten in Little Saigon gekommen. Zum einen weil sie Feste aller Art mochte. Zum anderen weil sie die asiatischen Kulturen und Kunst mochte, zum dritten, weil sie einen Ausflug mit ihrem Mann unternehmen wollte, den sie eh schon viel zu selten sah und zum vierten, weil sie sich auch an die beiden Japaner auf dem magischen Konzil erinnerte und sie sicher war, dass eine hohe Chance bestand, dass einer von beiden oder beide hier waren.

So lief Edith in einem dunkelgrünen wadenlangen Kleid neben ihrem Mann her, der ein helles Leinensakko trug, über einem blauen Hemd und einer Jeanshose. Edith trug schwarze Leggins unter ihrem Kleid und einen grauen legeren Blazer über den Schultern.

Edith genoß das Gewimmel an Menschen, die verschiedenen Sprachen und die freudigen Kinder.
Sie hatte mit Tom bereits eine Teezeremonie besucht und die fast meditierende Athmosphäre sehr genossen. War es doch ein Kontrast, ein Ausgleich zu dem Lärm auf der Straße.

Nun waren sie wieder draußen und Tom murrte etwas, dass ihm die Menschen zu viel seien, während Edith sich die Angebote, der Essensstände ansah. Sie hatte noch keinen Hunger, aber da dies nun gerade die Plakatierungen hier waren, sah sie sich diese auch an. Gedankenverloren spielte sie mit dem neuen Anhänger einer Kette, die sie zuvor gekauft hatte und der ein schönes symmetrisches Mandala zeigte, als dieser plötzlich auseinandersprang und der äußere Ring des Schmuckstücks aus der Hand fiel und davon rollte.

Edith suchte ihm nach und als sie ihn gefunden und aufgehoben hatte, sah sie die junge Japanerin Hifumi und den ominösen Mann Le Guin, genau da, wenige Meter vor sich sitzen. Was ein Zufall.
Der Anhänger war nun leider kaputt. In der Mitte zerbrochen und aus seinem Ring gefallen...wie war das geschehen? Doch ohne diese Frage beantworten zu können, steckte sie die Einzelteile in ihre Blazertasche.

Edith legte ihrem Mann, der neben ihr stehengeblieben war, eine Hand auf den Rücken, als sie sich zu ihm lehnte und sagte, dass sie zwei Kunden gesehen habe. Ob er nicht kurz sich etwas allein ansehen mochte. Sie würde gleich zu ihm kommen.
Tom erwähnte die Kunsthandwerksabteilung des Festes und machte sich auf den Weg.

So trat Edith schließlich an Hifumi und Le Guin heran.
"Entschuldigt die Störung, ich habe euch nur gerade zufällig bemerkt. Darf ich mich kurz zu euch setzen?"

Re: Kindergarten-Kult [Hifumi, offen]

Verfasst: Fr 17. Mai 2024, 22:05
von Le Guin
Le Guin befand sich in einer seltsamen Lage. Es war als hätte er eine Seite gelesen und dann war das Buch zugeklappt. Er versuchte, die Seite wieder zu finden, doch sie war verschwunden. Er sah Hifumi beim Essen zu und versuchte, sich an das zu erinnern, was er gelesen hatte:

Er hatte etwas Kluges sagen wollen, aber wie eigentlich immer kam nur etwas Ehrliches dabei heraus, was meistens keine gute Sache war. Also hatte er besser etwas gesagt, was andere schon vor ihm gesagt hatten, hatte mit zitierten Worten ein Bild zu zeichnen versucht. Ein Bild von einem Festmahl, an die Zeilen seines Buches erinnerte er sich noch. Es war ein einigermaßen bekanntes Festmahl gewesen, Harry Potter und der Stein der Weisen, das erste Mal für den armen Harry an den magisch-üppig-gedeckten Tischen von Hogwarts. Er erinnerte sich, dass er versucht hatte, die Szene lebendig genug zu machen, dass er die Kartoffeln und Würste, Steak und Kuchen, Bonbons, Pudding auf der Zunge hätte schmecken wollen. Er hatte satt sein wollen, aber... naja. Es war nicht gelungen. Der Geruch der billigen Sojasauce war sehr ernüchternd gewesen, auf jeder umgeblätterten Seite, die irgendwie zugeklappt war. Also hatte er versucht, sich abzulenken, indem er Hifumi nach etwas gefragt hatte. Nach... nach...

"...KLAPP!", schlug das Buch zu und da stand Edith und lächelte souverän für Hifumi mit der Wachsmalkreide in deren Rock und Le Guin, der das merkwürdigste Deja Vu seiner kurzen Lebenszeit hatte, was zugegebenermaßen wenig zu bedeuten hatte.

"Hallo Edith", sagte er. "Du trägst ein Kleid wie Seattles Baum-Kronen-Juwelen. Setze dich zu uns, so dass wir Hof halten können." Er lächelte vage, denn er wusste, dass die meisten Leute die meisten Dinge, die er sagte, nicht sofort verstanden. Doch er stand halb auf, aus Höflichkeit, und machte eine Geste zum freien Platz hin.
"Ich wollte gerade Hifumi nach etwas fragen", sagte er. "Doch die Frage ist einfach fort. Kennt ihr das? Tausend Dinge im Kopf, aber nicht das eine direkt vor einem."

Re: Kindergarten-Kult [Hifumi, offen]

Verfasst: Sa 18. Mai 2024, 12:46
von Hifumi
Hifumi schiebt sich mit maschinenpistolenartiger Kadenz drei Stäbchenladungen Nudeln hinter die Kiemen, als sie von Edith angesprochen wird. Tief im Inneren ist sie mißmutig, bei ihrer ersten Mahlzeit seit über 7 Stunden gestört zu werden - aber Hifumi zeigt das nicht nach außen. Sie wechselt wieder in ihre "furchtbar nette und kinderliebe Betschwester, die es einfach liebt hier zu sein"-Persona, und neigt sich Edith leicht zu.

"Ihr seid natürlich willkommen, Miss Blunt." In der Anrede war sie furchtbar viel formaler und steifer als Le Guin - als konservative und tief religiöse Ostasiatin hatte Hifumi eine fast schon konfuzianische Ehrfurcht vor dem Alter. "Ich fürchte nur, dass ich Euch nicht lange Gastgeberin sein kann. Ich hole gerade spät mein Mittagessen nach und werde so bald wie möglich wieder am Stand von Nichiren Shoshu gebraucht."

Ihre Eßstäbchen schweben über der Plastikschüssel, bereit zuzustoßen sobald die Ältere ihr die Erlaubnis geben würde, sich wieder ihrem Essen zu widmen. Da entfährt Hifumi eine etwas unkonventonelle Frage:

"Miss Blunt, wie entfernt man eigentlich am besten Wachsmalkreide aus einem Leinenrock?"

Es erscheint Hifumi als selbstverständlich, dass jemand in Ediths Alter Kinder und Enkel hat und so etwas einfach weiß. Die Idee, dass es eine andere Lebensgestaltung gibt als die, die Hifumi als "normal" beigebracht und vorgelebt wurde, kommt ihr nicht mal aus sich selbst heraus.