Kampfgefährten [Le Guin, Masamune]

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Le Guin
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Kampfgefährten [Le Guin, Masamune]

Beitrag von Le Guin »

Le Guin wollte sich und den Krieger nicht unbedingt als Kampfgefährten bezeichnen, doch es schrieb sich gut. Tatsächlich war seine eigene Beteiligung am Kampf nur ein Versuch gewesen, den anderen zu schützen. Und dabei hatte er ihn eigentlich nicht besonders gemocht. Nicht nach diesen Kommentaren und dem Verhalten auf dem Boot.
Doch Masamune war kein Feigling gewesen und das war alle Anerkennung wert und ganz grundsätzlich war Le Guin zu interessiert, vielleicht sogar neugierig, um jemanden einfach nur nach ein paar Bemerkungen abzuschreiben.

Also hatte er kurzerhand beschlossen, Masamune zu besuchen. Le Guin hatte kein Geld, aber er hatte Tacos - oder zumindest das, was am Ende noch auf dem Grill war. Meist war es nicht so übel und heute Abend war es eine Plastiktüte voll mit Tacos, Krautsalat, Reis und verflucht scharfer Sauce. Le Guin war höflich und in den meisten Gegenden, Arten, Kulturen, Welten war es höflich, wenn man etwas mitbrachte.
Und so kam er mit seiner Plastiktüte in der Hand zu Masamunes Dojo. Es war Sommer, wurde wärmer, also trug er luftige Kleidung. Le Guin konnte lässig aussehen, egal, was er trug. Er tat genau das, in minimalistischem Second-Hand-Chicque mit Stoffhose und einem eher luftigen, halboffenen Hemd.

Er trat durch die Eingangstür und raschelte verhalten mit der dünnen Plastiktüte, während er seine Stoffschuhe abstreifte. Warum tat er das? Weil er sich daran erinnerte, dass es höflich war. Er erinnerte sich nicht, weshalb, aber es gehörte sich an diesem Ort so, zu diesen Gerüchen, mit diesem Namen, dieser Art. Das Dojo war eine eigene, kleine Welt, die Masamune mit sich trug wie eine schillernde, exotische Seifenblase um ihn herum. Das war etwas, das er wusste. Er war jemand, der durch Seifenblasen wandeln konnte ohne dass sie platzen mussten.

"Hallo...?", fragte er in das Dojo hinein.
"Ich bin ein alter Mann und habe viel Schreckliches erlebt. Aber das meiste ist nie passiert.“ --Mark Twain

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Masamune
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Re: Kampfgefährten [Le Guin, Masamune]

Beitrag von Masamune »

Die Türe des Dojo war offen - in Wahrheit war sie sogar nur Nachts verschlossen. Im Eingangsbereich leuchtete gedämmtes Licht, welches den leeren Tresen erhellte und seinen Schein auch auf einen tiefen Tisch warf, welcher auf einer Matte stand, die durchgängig im Dojo verlegt war. Nur der Trainingsbereich war höher. Vor der Matte fanden sich Schuhe und Holzsandalen, zu denen sich die Schuhe von Le Guin nun gesellten.

Auf diesem Tisch fanden sich zwei Kessel, eine Schale, eine Dose und einige Werkzeuge, die mit einem Tuch abgedeckt waren. Alles war fein säuberlich angeordnet. Aus einem der Kessel stieg Dampf auf - ein Zeichen, dass jemand zu Hause war. Ein Bruch mit den alten Traditionen gab es jedoch: Der Kessel stand auf einer elektrischen Heizplatte. Die Behausung erlaubte wohl kein offenes Feuer.

Das Licht erhellte aber auch den Trainingsbereich etwas. Daher konnte man Masamune dort im Schneidersitz sitzen sehen, den Rücken zum Eingang gereichtet. Masamune hielt die Fäuste vor sich auf Brusthöhe, ohne sie abzulegen. Auf Dauer mussten die Arme sehr schwer werden. Vor ihm stand das Bild eines Mannes, der ihm aus dem Gesicht geschnitten war - nur etwas Älter. Zwischen sich und dem Bild war ein Katana mit dem dazugehörigen Wakizashi aufgebaut. Umrahmt wurden diese, sowie das Bild, von einigen Räucherkerzen, die bald das Ende ihres Lebens erreicht hatten. Aber der Aschemenge zu Folge, saß Masaune wohl schon eine ganze Weile so.

Auch das Hallo änderte Nichts an der Regungslosigkeit. Nach 2 endlosen Minuten jedoch fiel die letzte Asche.

"Guten Abend. Einen Moment bitte."

Die Hände sanken zu Boden und Masamune verneigte sich tief vor dem Bild. Ohne den Schneidersitz zu verlassen, ordnete er den Aufbau vor sich, verneigte sich abermals, dieses Mal jedoch weniger tief. Dann erst stand Masamune auf. Beim Verlassen der Matte, blieb er ein weiteres Mal stehen, drehte sich um und eine dritte Verbeugung folgte.

Jetzt erst schaute er den Gast an. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

"Willkommen, Le Guin-san. Es ist mir eine Freude dich hier begrüßen zu dürfen. Du trinkst Tee?"
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Le Guin
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Re: Kampfgefährten [Le Guin, Masamune]

Beitrag von Le Guin »

"Sehr gerne!", bestätigte Le Guin mit einem Lächeln und der Begeisterung, die von einem langen Tag im Taco-Wagen mit entweder lauwarmem Leitungswasser aus fragwürdigen Leitungen oder überzuckerten Softdrinks kam, die er nicht leiden konnte, weil er wusste, was darin war. Beim Wasser unseligerweise auch und das zusammen genommen hatte zu einigen unseligen und stinkenden Filterexperimenten geführt, für die kein Taco-Grill der Welt gemacht worden war. Aber die Aussicht auf Tee? Abgekochtes Wasser und Pflanzen? Es klang himmlisch und genau so klang er nun wohl auch in der Tat.

"Ich habe etwas mitgebracht", sagte er und hielt die Plastiktüte hoch. "Es ist nicht sehr japanisch, aber zum Ausgleich sind die Tacos auch nicht sehr mexikanisch." Er zuckte mit den Schultern, denn er hatte die Tacos selbst gemacht, für 5 Dollar die Stunde, schwarz und ohne irgendeine Art von Arbeitserlaubnis. Er hatte keine Ahnung, zu was das diese Tacos machte, außer vielleicht: "Ich halte sie für alchemische Neukreationen, die etwas besser für die Gesundheit sind als das amerikanische und das mexikanische Original." Das war ein ziemlicher Euphemismus, gemessen daran, dass das Alchemielabor ein klappriger Taco-Wagen war, aber wenn Le Guin zwischen Grill, Herd und diversen Saucenflüssigkeiten, Ölen, Fetten und Taco-Lappen stand, sah er sich als einen Alchemisten, denn ein Koch war er sicher nicht.

"Du bist mir nicht aus dem Kopf gegangen", meinte er dann. "Der Kampf. Kaijin-Hantā!" Das letzte war ein Zitat direkt aus Hunter x Hunter oder eben Hantā x Hantā. "Es gibt nur sehr wenige, die in der Lage den Mut gehabt hätten, den du gezeigt hast. Ich habe erst hinterher erfahren, dass normale Menschen hier nicht an Werwölfe glauben."
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Masamune
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Re: Kampfgefährten [Le Guin, Masamune]

Beitrag von Masamune »

"Vielen Dank", sagte Masamune, als er das Gastgeschenk sah. Er verneigte sich und machte dann eine einladende Geste zu dem Tisch, der - für westliche Umgebungen ungewöhnlich - etwas unter Kniehöhe seine Oberkannte hatte. Drumherum standen 6 Stühle - oder vielmehr Holzplatten, die mit einem Polsterkissen belegt waren und bestenfalls als minimal hoch zu bezeichnende Füße hatte.

Er selbst setzte sich Le Guin gegenüber.

"Ich habe bis vor einigen Monaten auch nicht an die Magie geglaubt. Aber selbst, wenn das nicht wäre... ich habe schon meinem Avatar versucht zu erklären, dass Feigheit mit einem so starken Ehrverlust einher ginge, dass es mein Leben beendet hätte... egal, wer der Feind ist. Der Wert eines Samurai geht untrennbar mit den Werten einher: Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Mut, Mitgefühl, Höflichkeit, Ehre, absolute Aufrichtigkeit, Pflicht und Loyalität. Es waren Menschenleben in Gefahr, also ist es meine Pflicht gewesen."

Masamune enthüllte das Zubehör auf dem Tisch, indem er das Tuch, welches oben drauf lag nahm und mit geübten, bewussten und langsamen Handgriffen zu einem Dreieck faltete. Jede noch so kleine Bewegung wirkte, wie ein in sich geschlossenes Ritual. Unter dem Tuch fand sich ein kleiner gebogener Holzlöffel, eine Kelle, ein Rohr, auf welchem die Kelle lag. Dazu eine weitere Schale, in der ein Tuch gefaltet lag. Daneben auf einem kleinen Ständer eine Art Schneebesen, gefertigt aus dünnen Holzblättern. Dieser war im Gegensatz zu einem Schneebesen jedoch nicht am Kopfende geschlossen, sondern über diesen Ständer gestülpt.

"Aber auch du hast Mut bewiesen und deinen Teil beigetragen. Ich konnte mich bislang nicht bedanken, aber dein Wirken ist nicht unbemerkt geblieben. Danke hierfür."

Masamune stellte alles zurecht: Die Schale mit dem Tuch wanderte zu seiner Linken. Zwischen dieser Schale und der dampfenden Kanne wurde der Zylinder mit der Kelle platziert. Vor sich - und damit zwischen die beiden Kannen, fand die Schale ihren Platz. Davor die Dose, auf die Masamune den Holzlöffel legte. Rechts neben der zweite Kanne folgte der Matcha-Besen. Und auch hier war jeder Handgriff ein Ritual für sich. Alles vorherbestimmt, wie es abzulaufen hatte. Alles hatte seinen Platz. Die ganze Handlung wirkte sehr meditativ.
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Le Guin
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Re: Kampfgefährten [Le Guin, Masamune]

Beitrag von Le Guin »

Le Guin setzte sich auf diesen Platz gegenüber Masamune und sah diesem zu. Er kam nicht umhin, den Kontrast zwischen dem Ritual des Teekochens und der Tatsache von Taco-Fastfood zu bewundern. Letzteres stellte er vorsichtig neben dem Tisch ab und das billige Rascheln von dünnem Plastik gegenüber den leisen Geräuschen von Masamunes sicheren Bewegungen schien den Kontrast nur deutlicher zu machen. Fasziniert sah er zu und fand den Kontrast auch in dem Mann selbst, der von einem Ideal sprach, das es vielleicht nicht mehr gab. Doch konnten Ideale sterben? Wohl kaum! Je weniger sie in der Welt Form annahmen, desto leuchtender und überzeichneter wurden sie in den Gedanken und Träumen der Menschen.
Das war es, worüber er nachdachte, in diesen ersten Momenten. Es ließ ihn lächeln und den Mann neu einschätzen. Überrascht stellte er fest, dass es die Abneigung, die er auf dem Boot gehabt hatte, ausgelöscht hatte. Darum war es so wichtig gewesen, her zu kommen, schloss er für sich.

"Ich wollte dich auch nicht im Stich lassen. Ich bin kein Samurai, aber ich wollte keine Geschichte von einem Feigling schreiben, der einen Samurai einfach zurücklässt. Oder einen der anderen Magier, selbst obwohl ich ihnen nicht getraut habe."

Er setzte sich etwas zurecht und wusste nicht, ob diese Haltung gewohnt oder ungewohnt war. Etwas an der Situation war vertraut, doch er wusste nicht, was. Der Geruch? Die Gefühle hinter dem Gespräch? Der Tee und der Tisch? Er wusste es nicht.

"Es ist gut, wenn du mit deinem Avatar sprichst und streitest. Dabei kommen deine Wahrheiten heraus so wie sich im Kampf auch Stärken und Schwächen offenbaren. So wie ein echtes Schwert aus Metall, Hitze und Kälte gemacht wird und auf dem Weg dahin alles verlieren muss, das nicht "Schwert" ist." Es waren die besten Metaphern, die ihm dafür in dieser Umgebung einfielen, gegenüber einem Mann, der tatsächlich kämpfte und wahrscheinlich auch ein gutes von einem schlechten Schwert zu unterscheiden wusste. Le Guin war sich nicht sicher, ob er selbst das wusste, doch er wusste, dass die Metapher gut genug war.
"Bei mir ist es noch nicht gelungen. Ich kann es spüren, den Avatar, wie einen Drachen, dessen Schuppen an der dünnen Haut meiner Gedanken entlanggleiten. Wäre ich in einem Raumschiff und das Raumschiff wäre ich selbst, müsste ich vielleicht nur aus dem Fenster sehen und würde in das gelbe, gigantische Auge des Drachen, blicken. Selbst das Auge wäre größer als mein kleines Schiff, als ich selbst. Doch selbst der Drache ist winzig gegen die Unendlichkeit des Sternenmeers. Ich weiß nicht, ob ich endlich hinaussehen oder warten soll, um zu lernen, wie ich den Antrieb bediene oder die Kantine finde oder auch nur meine Kajüte. Doch der Drache gehört zum Schiff und der Raum hat keine Grenzen."

Er seufzte einmal und zuckte dann mit den Schultern. Es war besser und einfacher, Masamune zuzusehen. "Darf ich dich fragen, wie du deinen Avatar gefunden hast? Hat er dich erwachen lassen?"
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Masamune
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Re: Kampfgefährten [Le Guin, Masamune]

Beitrag von Masamune »

"Ich war auf dem Schiff... voreilig. Misstrauen war gerechtfertigt und ich hatte kein Recht dieses herunter zu spielen. Entschuldige mein Verhalten."

Auch Masamunes Bild über Le Guin hatte sich geändert, aber eben schon während des Kampfes. Es waren diese Momente die die Seele eines Menschen zeigten. Orte, Augenblicke, die so extrem waren, dass keine Maske bestand hatte.

Der Japaner nahm das Dreieck und faltete es abermals um seine Hand. Dieses Falten schien für das Folgende vollkommen überflüssig zu sein - von Außen betrachtet - aber es gehörte einfach zu dem Prozess dazu. Denn am Ende nahm Masamune nur den kleinen Bambuslöffel, legte ihn ins Tuch und wischte dreimal darüber. Dann legte er den Löffel zurück.

"Um ehrlich zu sein, sind diese Gespräche selten. Mein Avatar half mir in jener Nacht, als ich erwachte. Das erste Mal mit ihr gesprochen habe ich während des Kampfes. Einmal im Anschluss. Aber ich kenne dieses Gefühl, wenngleich es bei mir nicht ein Drache ist, den ich fühle. Es ist eher... die Vertrautheit der Heimat, etwas Altes aus goldenen Tagen."

Das Tuch wurde abermals gefaltet, auf exakt die selbe Art. Dieses Mal wischte er den Wasserlöffel ab. Nachdem das erledigt war, fand das Tuch seinen Weg in den Kimono.

"Aber mein Avatar sagte etwas, was tröstlich ist zu wissen: Sie ist ein Teil von mir. Sie ist auf gewisse Art... ich. Und, wenn das das Wesen der Avatare ist, dann trifft das auch auf deinen und dich zu. Mein Rat ist also: Schau hinaus... und lerne."

Masamune nahm die Teeschale zu sich, legte den Deckel der Wasserkanne zur Seite und nahm dann den Wasserlöffel in seine Hand. Die Kelle wurde auf den Rand gelegt. Das Ende des Stiels lag nur noch auf seinem Finger. Diesen hob er an, um die Kelle ins Wasser gleiten zu lassen, wobei sein Finger dem Stiel folgte. Masamune füllte die Teetasse mit dem Wasser und legte die Kelle auf der Wasserkanne ab.

"Du sagtest auf dem Konvent, dass du auf der Space Needle geboren wurdest. Meinst du damit, dass du dort erwacht bist?"

Das Tuch aus der anderen Schale fand Verwendung: Masamune nahm es, während er das Wasser in der Teeschale schwenkte. Er kippte dieses Wasser in die andere Schale und wischte die Teeschalte mit dem Tuch trocken. Falten, falten. Und schon verschwand ebenfalls im Kimono. Die Teetasse ruhte wieder auf dem Tisch vor ihm.
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Le Guin
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Re: Kampfgefährten [Le Guin, Masamune]

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Masamunes Worte zum Avatar ließen Le Guin nachdenken. Während der Japaner die rituellen, ruhigen Bewegungen durchführte, sah er zu und fand Ruhe genug darin, um zu reflektieren. Es war etwas in der Art von Dreiklang in Masamunes Teezubereitung: Das Dreieck. Das dreifache Abwischen. Es löste eine Art Dreitakt in Le Guins Gedanken aus, dem er folgte. Avatar, Magus, Erwachen. Erwachen, Seele, Magick.
Was Masamune sagte, das "Alte aus goldenen Tagen", ließ etwas in ihm Klingen wie die Saite eines Instruments.

"Ich bin mir nicht sicher, ob es bei mir ein Drache ist", meinte er. "Es ist nur so ... . Es ist wie der Antagonist in der Geschichte. Der Held... nein, der Protagonist kann nur wachsen, weil es den Antagonisten gibt", meinte er nachdenklich. Der Gedanke war ihm erst jetzt gekommen, in diesem Dreitakt. Held, Widersacher, Herausforderung?

"Was ich auf dem Konvent meinte, war 'Geburt'", antwortete er Masamune dann. "Im einen Augenblick gab es mich nicht. Und dann war ich auf der Welt. Ich dachte, das wäre sehr einfach, aber es wird sehr kompliziert, wenn ich versuche, zurecht zu kommen. Man braucht Nummern und ein Smartphone und Geld, eine Wohnung und man muss essen und ...andere Sachen." Es erschien Le Guin unangemessen, über andere Körperfunktionen zu sprechen, während der Tee zubereitet wurde. Sie waren auch so schon unberechenbar genug.

"Mittlerweile habe ich herausgefunden, dass das nicht der Weg ist, auf dem Menschen für gewöhnlich auf die Welt kommen", meinte er stattdessen. "Oder vielleicht nur in der stillen Wiedergeburt, die ein Mensch mit jeder Veränderung, mit jeder Erkenntnis hat: Der Masamune von vor seinem Erwachen ist vergangen. Der Masamune von jetzt vor mir ist neu auf der Welt. Auch er wird vergehen und an seine Stelle wird ein neuer treten", versuchte er das Konzept zu erklären.
"So ähnlich ist es bei mir, nur radikaler. Es gab keinen alten Le Guin auf der Welt zuvor. Und dann gab es mich. Ich glaube aber, dass es mich irgendwann früher auch schon gab, nur eben nicht... hier und nicht so wie ich. Ich fürchte, mehr habe ich selbst noch nicht verstanden."

"Der erste Mensch, den ich dann traf, war ein Magus. Und er hat mich gewarnt, dass ich nicht zu viel vertrauen darf. Darum habe ich das auf dem Konvent auch nicht getan." Er hob seine Hand mit der Handfläche nach oben gewandt etwas an und deutete so zu Masamune herüber.
"Ich ahne, dass du, die anderen vom Boot und auch ich nicht zufällig zu ungefähr derselben Zeit zusammen fanden. Vielleicht hätte es jeder von uns irgendwann geschafft, an diesen Punkt zu gelangen. Vielleicht waren wir diejenigen, die am dichtesten dran waren? Doch nun waren es alle zu ungefähr derselben Zeit, als hätten wir alle einen Weckruf gehört. Als hätte das Universum eine Seite umgeblättert, eine neue Geschichte angefangen."
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Masamune
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Re: Kampfgefährten [Le Guin, Masamune]

Beitrag von Masamune »

"Aber, wenn du ihn nicht suchst und zu dir lässt... wirst du nie erfahren können, ob er dein Antagonist ist, der dich wachsen lässt... oder dein Freund, der dich fördert. Ich halte lieber daran fest, dass mein Avatar ein Freund ist. Feinde gibt es genug in dieser Welt."

Er öffnete nun die Teedose und legte den Deckel beiseite. Dann lag der schmale Holzlöffel darauf. Masamune nahm die offene Dose mit beiden Händen, hielt sie dann mit links über der Schale und griff mit der rechten zu dem Löffel. Er füllte genau 2 Löffel in die Schale, ehe das Prozedere in der selben Abfolge rückwärst eingeleitet wurde. Nachdenklich schaute der Samurai über den Tisch zu Le Guin.

"Es gab dich nicht... oder du erinnerst dich nicht an das, was davor war. Vielleicht gefangen in der Zeit? Erwacht... wie mein Avatar."

Bis vor einigen Wochen war so etwas undenkbar. Und heute? Heute gab es Nichts, was es nicht gibt.

Seine Hand griff zu der Wasserkelle. Eine halbe wurde zum Teepulver gegeben. Dann lag er Löffel wieder auf der Kanne. Masamune begann zu rühren.

"All die Konzepte, die wir gerade neu entdecken sind... schwierig zu verstehen. Und wahrscheinlich ist der Werwolf noch der Teil, der am leichtesten zu verstehen ist."

Er griff zum Matcha-Besen und begann in geübten 8er-Schlägen den Tee schaumig zu schlagen.

"Du meinst unser Schicksal könnte verknüpft sein? Dass wir alle den selben Weckruf gehört haben... der Beginn unserer Geschichte, die das Universum für uns vorgesehen hat?"
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Le Guin
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Re: Kampfgefährten [Le Guin, Masamune]

Beitrag von Le Guin »

"Alles ist irgendwie miteinander verknüpft", meinte Le Guin. "Doch wenn etwas Großes auf das Gewebe des Schicksals trifft, dann spannt es sich. Verbindungen, die sonst nie belastet würden, spannen sich und werden deutlich. Andere, die längst alt und morsch geworden sind, reißen endgültig, so dass sich das gesamte Muster auf einmal zu verschieben scheint - obwohl die Veränderung längst eingeleitet war. Es ist nur die Plötzlichkeit dessen, was geschieht, was dann alles andere daraufhin auch plötzlich erscheinen lässt."

Wenn man Le Guin ließ, konnte er sprechen wie sich Prosa schrieb. Seine Worte waren klar und ihnen fehlte vollständig etwas wie eigentlich normalmenschliches Zögern oder auch mal ein "ähm" oder "hm". Er sprach als wäre ihm ein Text geschrieben worden, nur dass er diesen so perfekt aufsagen konnte, dass es beinahe natürlich klang. Eben genau so natürlich, wie es klingen konnte, wenn man ohne Füllwörter, Stolpern und Stottern sprach. Radiosprecher oder Theaterschauspielerinnen konnten so etwas vielleicht.

"Ich glaube, ich oder du, die wir aus diesem Gewebe stammen und ein Teil davon sind, können nur sehr schwer einen Blick von außen darauf werfen und es verstehen. Bestimmt gibt es solche, die das können, und andere, die einfach mehr wissen. Aber wir selbst sind gerade erst erwacht und sehen uns um." Er lächelte flüchtig.

"Ich habe tatsächlich Angst vor meinem Avatar", gab er dann zu. "Es ist wie eine Schreibblockade. Ich muss die richtige Geschichte finden, in der wir uns und ich mir begegnen kann. Ich habe überlegt, ob ich eine Geschichte von John und den Wölfen schreiben kann, aber das scheint anmaßend und ich weiß zu wenig. Und so geht es mir mit fast jeder Idee für eine Geschichte: Ich weiß zu wenig von dieser Welt."
Damit machte er eine Geste zu Masamune herüber. "Darum ist es gut, anderes und andere kennen zu lernen. Wie gelangt ein Samurai in die Smaragdstadt?"
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Masamune
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Re: Kampfgefährten [Le Guin, Masamune]

Beitrag von Masamune »

Den Worten von Le Guin folgte er so geduldig, wie er den Tee aufschlug. Zwischendurch nickte Masamune. Radiosprecher. So etwas war Le Guin wahrlich nicht. Wenn überhaupt ein Schauspieler am Theater. Aber dann auch irgendwie nicht. Er wirkte eher, wie... der Dichter des Stückes. Der Puppenspieler. Regie.

"Das Bild was du da zeichnest, trifft es glaube ich ganz gut. Es wird einen Grund geben, warum wir dort waren, als John starb. Wir... die Neuerwachten. Warum wir nicht, wie die Fäden von John und seinem Traum zerrissen sind. Und mir missfällt, dass wir ausgegrenzt wurden. Eden Hall... vielleicht... besuchen wir diesen Treffpunkt der Magier einmal gemeinsam? Vier Augen sehen mehr als zwei."

Die Bewegung des Besens hielt inne, als die Flüssigkeit eine festgeschriebene Konsistenz erreicht hatte. Er stellte die Tasse abermals vor sich ab und legte den Besen weg.

"Wenn du dich vor deinem Avatar fürchtest... schreibe eine Geschichte über dich. Mein Avatar erklärte mir, dass wir eins sind... sie... und ich. Wemm du Worte für deine Geschichte findest, findest du also auch Worte für die seine. Takuan Sōhō, ein Meister des Zen mit großem Einfluss auf das Bushido schrieb einst: Besiege dich selber und du wirst deinen Gegner besiegen."

Während er das Zitat sprach, griff Masamune zu der Wasserkelle. Mit leichtem Griff nahm er diese auf, tauchte sie in die Kanne und füllte eine Kelle Wasser in die Teeschale.

"Der Samurai kam in die Smaragdstadt, um Geld zu verdienen für die Medizin und Pflege seiner Mutter. Es gibt nicht viel, was ich kann, um damit arbeiten zu gehen. Mein ganzes Leben habe ich dem Studium der Kampfkunst und der Lebenseinstellung der Samurai gewidmet. Aber mit einem Dojo in Kyoto zu starten ist so vergebens, wie zu hoffen, dass ein Stein Hunger stillen kann. Also... sind wir hier. In ein paar Tagen werden die ersten meiner Schüler ihre erste Prüfung ablegen. Gute Jungs. Ein solider Anfang... als Fundament sind Steine ihrerseits gut zu gebrauchen."

Es folgte eine zweite Kelle Wasser, ehe der Löffel in Ruhe seinen Weg zurück fand. Mit dem Tuch reinige Masamune nochmal den Rand der Schale.
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