People leave cults [Liam]

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Liam Carpenter
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Registriert: Fr 14. Mär 2025, 19:48

People leave cults [Liam]

Beitrag von Liam Carpenter »

„Können sie mich gut verstehen Liam? Ich bin Melanie. Schön sie kennenzulernen.“
Er hatte es sich mit seinem Laptop und einem Becher Kaffee am Schreibtisch bequem gemacht und angelte gerade nach einem Kugelschreiber. Die Stimme am anderen Ende der Leitung war weiblich und klang freundlich.

„Ja. Ja kann ich. Einen kleinen Moment.“
Er nahm den Block aus der Ablage und wand sich dann endlich dem Bildschirm zu. Das Logo von People leave cults leuchtete ihm aus der Zoom-App entgegen.
„Danke dass sie so schnell Zeit für mich hatten.“
Ein Gesicht löste das Bild des Logos ab. Die junge Frau klang nicht nur freundlich. Sie sah auch freundlich aus.

„Sie müssen die Kamera nicht einschalten, wenn sie nicht möchten. Handhaben sie das wie auch immer sie sich wohler fühlen.“
Es war sehr umsichtig von ihr ihm das anzubieten und unterstrich den professionellen Eindruck den er aus den Blogposts und Kommentaren auf der Webseite mitgenommen hatte. Er hatte diese Organisation insbesondere deswegen ausgesucht, weil sie sehr offen queerfreundlich auftrat und nicht kirchlich organisiert war. Etwas das vor allem ihm persönlich wichtig war, wenn es darum ging einen Beratungsservice als seriös und vertrauenswürdig wahrzunehmen.
Trotzdem schaltete er die Kamera ein. Er empfand ein gesichtslos geführtes Gespräch immer irgendwie als distanziert. Noch distanzierter als ein Gespräch über Zoom ohnehin schon war.
„Also… wie kann ich ihnen helfen?“

„Es ist so dass… ich habe eine Bekannte die Mitglied einer religiösen Sekte ist. Wir stehen uns nicht super nah, aber wir arbeiten gemeinsam an… an einem Projekt.“
Er verzichtete darauf ihr Projekt: magische Mordermittlung, oder Mordermittlung im magischen Milieu zu nennen.
„Und ich würde einfach gerne wissen wie ich mich ihr gegenüber am besten verhalten sollte um ihr eine Hilfe sein zu können. Ich möchte ihr gerne das Gefühl vermitteln, dass sie sich an mich wenden kann, wenn sie möchte. Aber ich bin super unsicher wie ich am besten mit dem ganzen Thema umgehen soll.“

Melanie hörte ihm aufmerksam zu und nickte am Ende seiner Ausführung verstehend.
„Können sie mir mehr über diese Sekte erzählen?“
„Ich weiß leider nicht viel darüber. Ich hab versucht mich zu informieren, aber die Quellen die ich finden konnte sind sehr widersprüchlich. Sie gehört zur Religionsgemeinschaft des Nichiren Buddhismus. Was bei mir den Eindruck hinterlassen hat, dass sie sich zumindest in irgendeiner Art sektenähnlicher Struktur bewegt ist die Tatsache, dass sie ihr eigenes Selbstbild sehr stark an den dort gepredigten Lehren misst die sehr streng hierarchisch und patriarchal geprägt sind. Sie hadert ganz offensichtlich mit diesen Regeln, aber stellt man sie in Frage geht sie in die Defensive und fängt an sie zu verteidigen.“
Alles was er im Internet zu dem Thema hatte ausgraben können war sehr zwiegespalten. Aber letztendlich mochte Hifumis Glaubensgemeinschaft eine einzelne Splittergruppe sein in der sich sektenartige Strukturen gebildet hatten. Ganz ähnlich wie es christlich fundamentalistische Sekten gab die parallel zu sehr weltoffenen Glaubensauslegungen existierten.

„Ich verstehe. Ich weiß wie schwer es manchmal sein kann nicht in die Konfrontation zu gehen. Aber wenn sie ihr gegenüber in die Defensive drängen, dann riskieren sie einen Kontaktabbruch. Isolation ein Instrument, dass quasi alle Sekten einsetzen um ihre Mitglieder in kontrollieren. Deswegen ist es wichtig, dass sie die Kommunikation aufrechterhalten. Seien sie ehrlich in ihren Antworten, wenn das Thema zur Sprache kommt, aber versuchen sie nicht bewusst Druck aufzubauen. Vermeiden sie starke Emotionen wie Wut oder Frustration. Beginnen sie keine langen Diskussionen und machen sie keine Vorwürfe. Versuchen sie stattdessen Ich-Botschaften zu verwenden.“
Was sie sagte war für Liam sehr nachvollziehbar. Offenbar hatte er instinktiv richtig reagiert als er das Thema nicht weiter vertieft hatte als Hifumi begann das ihr zugedachte Rollenbild zu verteidigen.
„Das ist auch die Rolle in der sie sich vornehmlich sehen sollten: Als Anlaufstelle. Ein soziales Netz außerhalb der Sektengemeinschaft ist essentiell für einen erfolgreichen Ausstieg. Viele Mitglieder zögern selbst bei hohem Leidensdruck die Sekte zu verlassen, weil sie befürchten soziale und finanzielle Unterstützung zu verlieren. Wenn es ihnen möglich ist, helfen sie ihr neue Kontakte außerhalb ihrer Religionsgemeinschaft zu knüpfen. Je stabiler ihr Umfeld außerhalb der Sekte ist umso leichter kann sie sich aus dem Sektenumfeld lösen, wenn sie soweit ist.“

Er nickte verstehend.
„Danke, das beantwortet sehr viele meiner Fragen.“
„Seien sie geduldig. Um eine Sekte zu verlassen, muss eine Person einen Punkt erreichen, an dem sie es nicht mehr ertragen kann, zu bleiben. Wie lange dieser Prozess dauert ist sehr individuell. Das Wichtigste was sie tun können ist die Beziehung am Leben zu erhalten und regelmäßig zu kommunizieren. Und ebenso wichtig: Achten sie auf ausreichend emotionalen Abstand. Ein Sektenausstieg ist ein Marathon bei dem sie ihre Bekannte nur dann unterstützen können, wenn sie selbst ausreichend Kondition mitbringen.“
Melanie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.
„Das war jetzt alles sehr allgemein. Gibt’s es eine bestimmte Situation die sie besprechen möchten? Oder haben sie weitere Fragen?“

Liam überlegte einen Moment ob er über die Situation im Schwimmbad sprechen wollte, entschied sich dann aber dagegen. Es stand ihm nicht zu über Hifumis Queerness zu sprechen, und auch die Anonymität der Situation änderte nichts daran. Also schüttelte er den Kopf.
„Nein, im Moment nicht. Danke, sie haben mir sehr geholfen.“
„Das ist völlig in Ordnung. Melden sie sich gerne, wenn sie weitere Hilfe benötigen, oder nehmen sie gerne an unseren Onlinetreffen für Freunde und Angehörige teil, wenn sie sich mit anderen vernetzen und in einem geschützten Rahmen über ihre Gedanken und Erfahrungen sprechen möchten. Sie finden die Termine auf unserer Internetseite.“
Nachdem sie sich verabschiedet hatten und ihr Gesicht auf dem Bildschirm verlosch fühlte er sich ein kleines bisschen leichter. Nicht mehr ganz so ratlos wie zuvor. Eine Frage allerdings blieb: Wollte er mit Elena Black darüber sprechen? Immerhin war sie Hifumis Mentorin. Oder mischte er sich zu sehr ein. Er blickte zu dem kleinen Stapel Bücher hinüber den er auf seinem Nachttisch zwischengelagert hatte. Dann verwarf er den Gedanken für den Moment. Vielleicht ergab sich die Gelegenheit, wenn sie aus anderen Gründen noch einmal in Kontakt kamen.

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