Schneewittchen in Nippon [Hifumi, offen]

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Hifumi
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Schneewittchen in Nippon [Hifumi, offen]

Beitrag von Hifumi »

Das Japanischen Kulturzentrum lag an der 1414 South Weller Street in Little Saigon, einer Ecke in Seattle die hauptsächlich von Vietnamesen, aber auch anderen Asiaten bewohnt wurde.
Am 4. Mai, Sonntag, fand hier seit 11 Uhr vormittags der Kodomo no Hi statt, ein besonderer Aktionstag für Kinder und Familien.

Zahlreiche Attraktionen wurden geboten, Kampfkunstvorführungen, traditionelle Tanz- und Musikdarbietungen, Teezeremonien, Einweisungen in die Benutzung von Eßstäbchen, Essensstände, irgendwas vom Konsulat - und irgendwo war da auch ein Stand von Nichiren Shoshu.

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Dieses Mal sind die Kultistinnen aber nicht darauf aus, aggressiv Werbung zu machen. Sie präsentieren sich als höfliche, nette und freundliche junge Damen, eine ganz harmlose Glaubensgemeinschaft, die zur Community beitrug.
Ein großes Pappschild ist in Wasserfarben mit einer etwas impressionistisch wirkenden Stadt unter einem sternengeschmückten Nachthimmel bemalt, voller Türme und Paläste und Minarette, die aus dem dampfenden Dschungel aufragen - für Kenner als die illusionäre Stadt aus dem 7. Kapitel des Lotus-Sutra zu identifizieren.

Auf einem niedrigen Klapptisch befindet sich eine Kiste mit Vogelsand, aus der die Kinder Säckchen erbeuten können, mit einem halbwegs gelungenen Lebkuchenbuddha, Naschwerk, und einem Zettel der in einfachen kindgerechten Worten das 7. und das 15. Kapitel des Lotus-Sutra nacherzählte - letzteres über die Buddhas, die der Erde entspringen.

Daneben gibt es auch ausmalbare Mandalas, Kinderschminken und viele andere kleine Attraktionen, um die Kinder anzulocken und zu erfreuen. Die Kulstistinnen sind als Disneyprinzessinnen verkleidet - Snow White, Pocahontas, Esmeralda, Jasmine, und Hifumi selbst als Belle.
Die Flyer und Pamphlete bleiben fast wie Blei in ihrer Ecke liegen, dafür scheinen viele Eltern um so froher zu sein einen Ort zu haben wo sie ihre Kinder oder einen Teil davon abgeben können.

Es herrscht an diesem Vormittag ein wenig Aufregung am Stand der Sekte. Jemand hatte das Pocahontas-Küstüm offenbar unwitzig gefunden und die junge Frau mit seinem Erdbeermilkshake überschüttet. Die jungen Frauen diskutieren hitzig über etwas auf japanisch, besonders die bedröppelte Pocahontas, die sich mit Händen und Füßen gegen etwas zu wehren schien.
"Auf jeden Winter wird unweigerlich ein Frühling folgen."
- Nichiren

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Masamune
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Re: Schneewittchen in Nippon [Hifumi, offen]

Beitrag von Masamune »

Dieses Jahr hatte sich das Dojo mit einer Vorführung an den Feierlichkeiten beteiligt. Die Gruppe an Schülern ging nun in traditioneller Samuraikleidung Werbung für das Training machen. Weniger Traditionell war die Wahl jener Schüler: viele waren nicht japanisch oder gar asiatischer Abstammung und ebenso waren einige Frauen dabei. So traditionell auch die Werte und das Lernen an sich waren: Das Weltbild des Sensai war nicht in der Vergangenheit.

Am Abend würden sie sich wieder treffen. Doch bis dahin verteilten sie Flyer und Visitenkarten.

Masamune kam mit eben jenen unter dem Arm an dem Pappschild vorbei. Seufzend schüttelte er den Kopf und betrachtete die "Falle" für Kinder, welche sicher eine Gefahr darstellte in die Fänge der Sekte abzudriften. Seine Augen suchten Hifumi in dem Haufen an 'Prinzessinnen'. Fast hätte er 'Belle' nicht erkannt.

So stand er da - wie ein Fels zwischen der Menge an vorbeiziehenden Menschen und lauschte dem Streit der Kultistinnen.
Täuschung und Schein gleichen dem Traum und die Erleuchtung dem Erwachen daraus. Wer träumt, weiß nicht, dass er träumt. Nur der Erwachte weiß, dass er geträumt hat.
Pu’an

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Hifumi
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Re: Schneewittchen in Nippon [Hifumi, offen]

Beitrag von Hifumi »

Es sind vor allem die anderen, deutlich jüngeren Frauen, die streiten. Die billigen Kostüme, wie sie ursprünglich ausgeliefert wurden, waren wohl eher von der aufreizenden Sorte, und mussten erst umgenäht werden um den Ansprüchen der verklemmten Betschwestern zu genügen.
Alle modifizierten Kostüme sind heute bereits im Einsatz, als Ersatz kommen damit nur eines der sexy Kostüme wie ursprünglich ausgeliefert in Frage.

'Pocahontas' ist ersichtlich dagegen, nach dem Milchshakeanschlag noch weiter gedemütigt zu werden, indem sie dazu gezwungen wird als Schlampe aufzutreten, und möchte unbedingt mit einer der anderen Kultistinnen die Kostümierung tauschen. Weder 'Snow White' noch 'Esmeralda' noch 'Jasmin' sind von dieser Idee sehr angetan - die indoktrinierten Frauen in Nichiren Shoshu haben sehr starke Vorstellungen davon, wie sich ein anständiges Mädchen anziehen darf und wie nicht.

'Belle' Hifumi ist merkwürdig außen vor. Sie ist nicht nur Leiterin dieses YWD-Grüppchen, sie ist auch ein paar Jahre älter - und sowohl vor dem Rang wie auch vor dem Alter scheinen die anderen Mädchen einen Heidenrespekt zu haben. Niemand schlägt vor, dass Hifumi in den sauren Apfel beißen könnte.
Anstatt sich tiefer in den fruchtlosen Streit hineinziehen zu lassen, bückt sich Hifumi nach dem verschütteten Milchshake und nimmt dessen Trinkhalm an sich, den sie mit einem Papiertaschentuch reinigt. Währenddessen schaut sie sich suchend um.

Ohne irgendeine der Kultistinnen anzublicken, fragt sie auf japanisch in die Runde:

"Hat irgendwer ein Messer gesehen, oder eine Schere oder so etwas?"
"Auf jeden Winter wird unweigerlich ein Frühling folgen."
- Nichiren

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Masamune
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Re: Schneewittchen in Nippon [Hifumi, offen]

Beitrag von Masamune »

Er verfolgte das Gespräch mit eiserner Miene. Da war keine Schadenfreude, aber auch wenig Mitleid in dem Blick des Japaners. Vielleicht verstand er auch das Problem als solches schlicht nicht. Sie trugen alle keine traditionelle Kleidung - was da machte mehr oder weniger Stoff aus?

Er wollte sich gerade abwenden, als Belle nach einem Messer fragte. Warum traf er immer wieder auf diese Maga? Wie Ying und Yang schienen sie sich abzustoßen und zugleich wieder anzuziehen. Also hielt er in der Bewegung inne und drehte sich zu Hifumi. Zur Ausstattung eines Samurai gehörte neben den beiden Schwerter auch ein Tanto - für Seppuku oder eben Haushaltsdinge. Diese nahm er samt Holzscheide aus seinem Gürtel und reichte es an ihrem Körper vorbei in das Sichtfeld der Japanerin, ohne ein Wort zu sagen.

Gespannt wartete er, was sie damit vorhatte?
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Hifumi
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Re: Schneewittchen in Nippon [Hifumi, offen]

Beitrag von Hifumi »

Hifumi nimmt die Klinge mit beiden Händen entgegen und verneigt sich dabei - beides eine ehrerbietige Geste.

"Ich danke Euch, Kyoshi-san."

Sie zieht die schützende Holzscheide nur so weit wie nötig, und zieht den Trinkhalm vier mal darüber, um ihn in fünf Teile zu spalten - vier lange Halme, und einen deutlich kürzeren. Genug sowohl für die einfachen Kultistinnen als auch für Hifumi.

Da sie sich mit den Halmen in der Hand und einem Kostüm ohne Taschen schwer tut, das Tanto würdevoll zurückzugeben, weist sie Snow White an diesen Schritt zu unternehmen, die die Klinge ebenfalls beidhändig mit einer Verneigung übergibt.

"Kyoshi-san, wenn es Eure Zeit nicht überbeansprucht, wärt Ihr bereit als Schiedsrichter aufzutreten? Es wäre normalerweise an mir als YWD-Leiterin, die Auslosung vorzunehmen. Aber da ich mich auch dem Losglück stelle, da ich meinen Untergebenen keine Entbehrung abverlange der ich mich nicht selbst stellen würde, wäre jemand neutrales wie Ihr sicher besser geeignet."
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Masamune
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Re: Schneewittchen in Nippon [Hifumi, offen]

Beitrag von Masamune »

Der Samurai betrachtete, was Hifumi da mit dem Strohhalm tat. Er zählte die Personen und die Halme und schien zufrieden zu sein. Mit beiden Händen nahm er das Tanto von Schneewitchen zurück. Mit geübten Handgriffen verschwand es wieder im Gürtel - eine kleine Zeremonie. So, wie fast Alles in seinem Leben einem gewissen Ablauf folgte.

"Ich werde mir die Zeit nehmen, Takahashi-san."

Auch die Strohhalme, nahm er in die Hand. Masamune mischte sie, drückte die oberen Enden auf gleiche Höhe und hielt sie dann vor sich.
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Hifumi
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Re: Schneewittchen in Nippon [Hifumi, offen]

Beitrag von Hifumi »

Die jungen Frauen zogen nacheinander die Halme und verglichen sie. Schneeweißchen hatte eindeutig verloren, und zog sich nach kurzer Diskussion zu den Damentoiletten zurück.

Hifumi nutzt die Unterbrechung, um einen Moment unverbindlich mit Masamune zu plaudern.

"Vielen Dank für eure Hilfe. Ich hoffe, der Tag lief ertragreich für euer Dojo? Wir machen diese Aktion schon das zweite Mal, und ich denke es kommt so langsam bei den Menschen in Seattle und Tukwila an, dass unser Tempel viel gutes schafft."

Die jungen Frauen taten tatsächlich ihr bestes dafür, einfach als freundliche und harmlose junge Frauen rüber zu kommen, die sich für die Gemeinschaft um sie herum engagierten. Die Zwänge und Einschränkungen, denen sie durch die Sekte unterworfen waren, und die Machenschaften der Sektenführung in Kalifornien und Japan blieben schön unsichtbar.
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Masamune
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Re: Schneewittchen in Nippon [Hifumi, offen]

Beitrag von Masamune »

Masamune betrachtete die Auslosung und verfolgte die folgende Diskussion schweigend.

"Es war nur eine Kleinigkeit. Egal, wie sehr sich unsere religiösen Ansichten auch unterscheiden mögen, sollte immer Platz für Höflichkeit bleiben."

Er nickte leicht. Sein japanisch war fließend und hatte auch nach den Jahren hier seinen Akzent der Heimat nicht verloren.

"Ich weiß noch nicht, wieviel Zulauf das Dojo bekommen wird. Aber wir wissen beide, dass das 'Gute', was der Tempel schafft nur eine Seite der Münze ist."

Ein leichtes Seufzen.

"Habt ihr noch etwas von den anderen... Frischlingen gehört, die damals in der Nacht dabei waren? Oder sind wir beiden, die Einzigen der Neuen, die noch verblieben sind?"
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Hifumi
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Re: Schneewittchen in Nippon [Hifumi, offen]

Beitrag von Hifumi »

Hifumi zog ein wenig die Augenbrauen zusammen, aber verzichtete darauf, auf die Spitze gegen ihren Tempel einzugehen. Streitgespräche schickten sich nicht, nicht hier an diesem öffentlichen Ort, an dem die Sektiererinnen sich von ihrer besten Seite zeigten, als hilfreiche nette junge Frauen.

Das Japanisch der YWD-Leiterin war muttersprachlich, mit leichter Fukui-Einfärbung.

"Ich hatte zuletzt nur Kontakt zu LeGuin, die einige Zeit bei mir unterkam nachdem sie wohnungslos war."

Mit einem Seitenblick auf die Kultistinnen um sie herum betont sie auffällig das Geschlecht. Die Nichiren-Sekten waren sehr konservativ und hatten wenig Verständnis für Nicht-Binäre; noch weniger dafür, dass eine unverheiratete junge Frau ihr Zimmer mit jemandem teilte, der als männlich gelesen können würde.

"Das ist aber schon einige Monate her. Dafür hat mich ein neu erwachter aufgesucht, um Fragen zu stellen zu den Ereignissen auf der Insel. Liam Carpenter ist sein Name, und interessanterweise Mitglied des gleichen Stammes wie John. Hat er euch zufällig auch aufgesucht?"
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Masamune
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Re: Schneewittchen in Nippon [Hifumi, offen]

Beitrag von Masamune »

Masamune verzichtete auf weitere Spitzen. Auch als Hifumi LeGuin so bewusst als weiblich titulierte. Nur ein Mundwinkel zog sich dabei nach oben.

"LeGuin habe ich anschließend einmal bei mir zu Gast gehabt. Danach ist... sie verschwunden."

Bei der Erwähnung von Liam nickte Masamune.

"Wir haben ihn gemeinsam in... dem Bistro getroffen. Ich habe demnächst einen Termin mit ihm, um mich mit ihm auszutauschen. Vielleicht sollten wir beide uns nochmal in dem Bistro zusammen setzen und... Details über bisherige Erkenntnisse austauschen?"
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