Kleines Konzil im großen Garten [Alle]

[Mystiker]

Ein jeder erhielt eine Nachricht. Sei es über eine SMS, eine E-Mail, eine Postkarte, einen Brief, einen Anruf oder eine Schriftrolle, die übergeben wurde. Jeder erhielt diese Nachricht von jemanden dem er ein wenig vertraute. Dem er schon einmal begegnet war. Was sicher stellte, dass dies keine Falle war.

Die Nachricht war einfach gewesen. Wer Interesse hatte tiefer einzutauchen in Welt voller Geheimnisse und Faszination, der konnte sich um 18 Uhr an Pier 55 einfinden. Der Bote würde dort warten und alle Interessierten zu einer interessanten Reise mitnehmen.

Offenbar hatte jemand Spaß daran kryptische Nachrichten so offensichtlich sein zu lassen, dass jedem der das las irgendeinen Spam oder ähnliches vermutete. Vielleicht eine Kaffeefahrt, bei der man was verkauft bekam oder ähnliches. Nur, wer wusste von wem er die Einladung erhalten hatte, war sich vermutlich sicher, dass sich mehr dahinter verbarg.

Am Pier 55 und den umliegenden Piers herrschte nicht gerade wenig Andrang an diesem Sonntag. Es war zwar noch kalt mit Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt und die Sonne lies sich nur Partiell blicken, aber das schien die Menschen nicht davon abzuhalten die Fähren, welche hier abfuhren zu nutzen. Sei es um den Pudget Sound zu überqueren oder nur, um eine einmalige Aussicht, auf die Skyline von Seattle zu erhaschen.

Die Fähre welche an Pier 55 lag war eine kleine Fähre, die nur Personen transportieren konnte und keinen Platz für Autos bot. Auch schienen die Touristen rund herum die Fähre größtenteils zu ignorieren. An einem der Poller an dem die Fähre festgemacht war lehnte ein junger Mann und schien auf Gäste zu warten. Dabei schlürfte er ein Getränk aus einem Starbucks Becher.

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Eine Möglichkeit zum an Bord gehen war ausgefahren und schien nur darauf zu warten, dass jemand sie betrat. Bisher war allerdings noch niemand zu sehen.

[Kitty Turner]

Kitty hatte eine ganze Weile auf die Buchstaben auf ihrem Smartphone gestarrt. Die Absenderin war ein deutliches Indiz worum es gehen würde und genau das jagte ihr Schauer über den Rücken. Würde sie dort auftauchen, wüssten mehr Leute wer, nein besser was sie war. Der Gedanke ließ sie sich innerlich winden. Und doch - eine interessante Reise... Die beiden Worte hatten in ihrem Kopf widergehallt, seit sie das Handy wieder eingesteckt hatte.

Und so parkte ein wenig vor dem vorgegebenen Zeitpunkt ein alter Bus, der wohl schon seine besten Tage gesehen, aber dafür die eine oder andere Reise überstanden hatte. Eine junge Frau stieg aus und fröstelte ein wenig. Der Wind ließ ihr langes, blondes Haar tanzen als sie den Kragen ihres abgetragenen Ledermantels hochschlug und zum Pier 55 schlenderte, um sich dort in der Nähe des Fähraufstiegs an einen Pfosten zu lehnen.
Zufällig so, dass ihr Blick über diesen schweifen lassen konnte, doch sie machte keine Anstalten, einzusteigen. Während der Mann ihr gegenüber aus einem Starbucksbecher schlürfte, begann sie sich fachmännisch eine Zigarette zu drehen und zündete sich diese schließlich an.

Der erste Zug ließ sie zufrieden seufzen und für einen Moment etwas entspannter die Augen schließen. Während die Blonde dastand und rauchte blieb der eine oder andere Blick an ihr hängen.
Sie war hübsch mit den blonden Wellen, die ihr ebenmäßiges Gesicht umwogten und über ihre Schultern, fraglos. Ganz zu schweigen, dass ihre hochgewachsene Figur sich an genau den richtigen Stellen in Kurven neigt. Doch vor allem lag in ihrer Gestalt etwas, das einen freien Geist hüpfen ließ. Wer auch immer die Frau war, was auch immer sie hier tat, in ihrer Erscheinung lag die Idee von Freiheit. Man sah sie und dachte an die großen Revolutionen. Nicht den blutigen oder gar strategischen Teil - nein, an die rauchumwölbten Augenblicke voller Extase in denen Legenden geboren wurden.

[Edith Blunt]

Neben dem alten Bus hielt kurze Zeit später ein türkisblauer Bentley continental GT cabrio mit geschlossenem schwarzen Dach und aus stieg eine ältere modisch gekleidete Frau.

An den Füßen trug sie halbhohe schwarze boots und dazu eine schwarze Segeltuchhose in die eine weisse seidig erscheinende Bluse gesteckt war unter einem dunkelgrauen Wollmantel samt leichtem blau-grauen Schal.
April war noch nicht die beste Zeit für Ausflüge am Pier ihrer Meinung nach, aber auf ein Treffen mit Emerald verzichtete sie nicht, auch wenn sie noch nicht wusste, was dieser wirklich geplant hatte und heute hier geschehen würde.

Am Arm trug sie eine weisse lederne Handtasche und um die Handgelenke schwarze Bänder.

An beiden Ohren baumelten silberne kugelförmige Ohrringe, als sie zum Pier ging.

Dort angekommen lächelte sie Emerald freundlich an und reichte ihm die Hand.
"Schön Sie wieder zu sehen Emerald. Ich bin gespannt, womit Sie mich heute überraschen."
Bevor sie sich der unbekannten zuwandte und auch diese ansprach.

"Schönen guten Tag. Mein Name ist Edith Blunt." Und auch ihr reichte sie grüßend ihre Hand.

[Hifumi]

Hifumi Takahashi nahm die Buslinie 150 von Tukwila zur Haltestelle 4th Avenue & Madison Street, um da schon um 17:11 Uhr anzukommen.
Diese lag konvenienterweise bei Seattles Zentralbibliothek und bot ihr damit einen Vorwand, an diesem Sonntag abend nicht mit den anderen Sektiererinnen abzuhängen, die sich sonst die ganze Zeit über auf einen Haufen klumpten - sie hätte noch Bücher abzugeben und auszuleihen.

Leider hatte die junge Japanerin nicht einkalkuliert, dass in Amerika Fahrpläne nicht so geheiligt wie in ihrer Heimat waren, dass schon eine Minute Verspätung eine solche schwerwiegende Entehrung war dass sie durch rituellen Selbstmord gesühnt werden musste. Was normalerweise ein bequemer Zeitpuffer gewesen wäre, schrumpfte immer mehr zusammen auf dem Weg zur Haltestelle.

Entsprechend kommt sie an Pier 55 erst kurz vor knapp an, rennend und etwas verschwitzt. Das stand in scharfem Kontrast zu ihrer adretten Kleidung: Einem lila Twinset dessen etwas aufreizend tiefes Oberteil durch ein stets leicht geschlossenes Jäckchen züchtig gehalten wurde, einem etwas mehr als knielangen geblümten Rock, Strumpfhosen und flache schwarze Ballerinas.
In der Hand hält sie immer noch den Roman, den sie sich wahllos vom Neuerscheinungen&Beststeller-Ständer am Büchereieingang genommen hatte, und kommt erst jetzt dazu ihn tatsächlich anzuschauen: Holly Gramazios "The Husbands". Ihre Augen weiten sich, als sie den Klappentext überfliegt. Eine romantische Komödie, die sich über die drei heiligen Gehorsamspflichten einer guten buddhistischen Frau - gegenüber Eltern, Ehemann und Kindern - lustig machte? So was fanden die Leute in Amerika gut???
Sie fummelt ihre Handtasche auf und versucht die Zufallsausleihe rasch zu verstecken, ehe noch jemand auf die Idee kommt sie würde das Buch gutheißen. Und obwohl sie noch nicht einmal den Klappentext richtig gelesen hatte, machte sie sich bereits eine geistige Notiz einen gepfefferten Beschwerdebrief an die Bibliothek zu schreiben dass man da solchen unmoralischen Schund anpreiste. Wenigstens in dieser Hinsicht hatte die Sektiererin sich bereits hervorragend in die amerikanische Gesellschaft integriert!

Noch während sie mit Buch und Handtasche herumfummelt blickt sie erstmals wirklich auf und studiert die versammelten Personen. Keine einzige war ihr bekannt.

[Le Guin]

Le Guin hatte seine Zeit genutzt, um sich Seattle, den Menschen darin und der Zeit anzupassen. Dennoch erinnerte seine Aufmachung an die 80er: Sein hellbrauner Dreiteiler passte zu dem noch eher kühlen Wetter, der leichte Hut half gegen den Wind vom Wasser her, die Sonnenbrille passte mit ihrem Glitter zu den Lackschuhen und den ebenfalls glitzernden Schnallen.

Mit langen Schritten spazierte er lässig den Pier herunter und an Bord der Fähre. Obwohl er Hifumi sicherlich in seiner Körperlänge überragte, beugte er sich nun etwas herunter, um jenes Buch, das sie trug, neugierig anzusehen. "Ohh", meinte er und es war schwer zu sagen, ob das bedauernd klang, traurig oder einfach sehr, sehr vorsichtig.
"Bei wie vielen Ehemännern bist du angekommen...?"

[Masamune]

Angepasst hatte sich der Japaner nur bedingt. Ganz im Gegenteil: Statt moderne Kleidung zu wählen, trug Masamune nur einen längeren Regenmantel - weil er praktisch war. Darunter jedoch fanden sich feine japanische Stoffe in mehren Schichten. Mittelgrau waren der untere Kimono und der Hakama, dunkelblau der obere Kimono. Die Zehenschuhe waren ebenfalls dunkelblau und steckten in hölzernen Sandalen.

Seine Haare waren zu einem eleganten Zopf gesteckt, gewickelt mit einem grauen Band.

In dem traditionell gebundenen Obi steckte ein Fächer aus Holz - kein Samurai-Schwert, wie man es vielleicht erwarten würde. Daneben die Einladung auf einer Schriftrolle.

Mit dieser steuerte er zielgerichtet den jungen Mann an der Gangway an und würde ihm die Schriftrolle zeigen.

[Mystiker]

Emerald lächelte, als sich immer mehr Leute an der Fähre versammelten. Er betrachtete jeden einzelnen und nickte jedem freundlich zu, der auf ihn zutrat. Als Edith ihn ansprach grinste er schelmisch. "Oh, die Überraschung kommt diesmal nicht direkt von mir. Ich bin nur der Bote." widerholte er seine Rolle, wie bei ihrem ersten Treffen. "Ich hoffe ihnen ist es gut ergangen bisher?"

Als der Japaner schließlich an ihn heran trat und die Schriftrolle vorzeigte nickte er ihm nur zu. "Willkommen an Board." begrüßte er ihn. Nun schienen auch alle da zu sein, wenn er richtig gezählt hatte. Er nickte zu sich selbst, als er nochmal durchzählte und stieß dann einen lauten Pfiff mit der Hilfe von zwei Fingern aus. "Alle an Board. Wir legen ab!" rief er noch. Er selbst blieb noch an dem Poller lehnen, während er wartete bis die Leute über die metallene Gangway ihren Weg auf die kleine Personenfähre fanden.

Kurz nach seinem Pfiff erwachte auch der Motor der Fähre und wühlte das Wasser hinter dem Schiff auf, was bedeutete, dass zumindest noch jemand an Board sein musste, der das Schiff steuerte.

[Masamune]

Als Masamune an Board willkommen geheißen wurde, faltete er die Hände vor dem Schritt und verneigte sich in leichtem Winkel.

"Arigato"

Er würde dann auch keine Zeit verlieren das Schiff zu betreten und unter Deck zu gehen - sollte es keine Anzeichen dafür geben, dass die Veranstaltung auf dem Deck stattfand.

[Kitty Turner]

Kittty hatte es gerade noch geschafft aufs Boot zu kommen und den Mann mit dem Starbucksbecher, dessen Namen sie nicht kannte, ein wenig verlegen angelächelt.
Auf der Fähre angekommen war sie sich nicht sicher, wohin sie gehen sollte. Kannten die anderen sich? Hatte sie etwas verpasst? Sie sah sich etwas unschlüssig um.

Dann kam sie in die Nähe des Mannes der die Schriftrolle vorgezeigt hatte. Er sah so aus als wusste er, was er tat und sie mochte, wie wenig er sich an mögliche Bedingungen angepasst hatte. So lehnte sie sich in seiner Nähe an die Rehling und schenkte ihm ein Lächeln. Eines, das an durchtanzte Sommernächte erinnerte.
"Hi", versuchte sie ein Gespräch und klang selbstbewusster als sie sich fühlte. So war das schon immer gewesen. "Bist du neu hier?"

[Hifumi]

Die junge Japanerin wirkt ein wenig nervös, als das Schiff ablegt und sich bewegt, ihren Rückzugsweg abschneidend.
Hoffentlich würde das nicht zu lange dauern - sie hatte ihren Schwestern im Glauben vorgegeben, nur schnell zur Bibliothek gehen zu wollen. Sie hatte keine Lust, erst mitten in der Nacht zurückkehren zu können und sich Mutmaßungen darüber anzuhören, was sie so lange und so spät in der Stadt getrieben hatte. Sie alle hatten vor der Missionsreise genug Lehrfilme über das amerikanische Nachtleben anschauen müssen, und wie unvorsichtige junge Frauen schnell in einen Strudel aus Alkohol und Drogen und Unzucht rutschten und auf die schiefe Bahn gerieten.
Einen ganz besonderen Schauder hatten Hifumi die Erzählungen von den Schlampenstempeln eingejagt, die in Amerika signalisierten dass die Frau sich kostenlos jedem Mann hingeben würde. Für die behütete Konservative erschien es auch völlig glaubwürdig, dass es im Ausland ganze Mädchenhändlerringe gab, die unschuldige junge Japanerinnen in Tätowierstudios verschleppten und lebenslang als schamlose Flittchen brandmarkten.

Sie stellt sich an die Reeling, die dem Hafen zugewandt ist, und ruft sich das berühmte Bildnis ihres Bodhisattvas auf dem Boot nach Sado ins Gedächtnis. Ihre Knöchel treten weiß hervor, als sie ihre rosa buddhistische Gebetskette umklammert und zu chanten beginnt:

"Nam-Myoho-Renge-Kyo, Nam-Myoho-Renge-Kyo, Nam-Myoho-Renge-Kyo..."

Sie betet um ihre rechtzeitige und sichere Heimkehr, und darum nicht in die Hände eine dieser Banden gefallen zu sein von denen sie so viel gehört hatte.