Die Tür fiel leise ins Schloss, und für einen Moment war alles still. Mateo stand mitten in dem kleinen Zimmer, das ihm für die nächsten Wochen Zuflucht bieten sollte. Die Wände waren kahl, das Bett schmal, und der Geruch von altem Holz hing in der Luft – aber es war warm, trocken, und vor allem: sicher.
Er ließ seinen Rucksack langsam zu Boden sinken, streckte die Schultern und atmete tief durch. Die letzten Tage hatten sich angefühlt wie ein einziger langer Atemzug, gehalten zwischen Hoffnung und Angst. Jetzt war er da. Seattle. Eine neue Stadt, ein neuer Anfang – und vielleicht ein Ort, an dem seine Stimme wieder gehört werden konnte.
AuEr zog aus seiner Tasche einen zerknitterten Zettel, darauf in der Handschrift von Pater Francis: Mavis Vermillion und eine Telefonnummer. Pater Francis hatte ihm den Zettel mit ernster Miene überreicht und gesagt: „Ich kenne sie nicht persönlich. Aber diese Nummer bringt dich zu ihr.“ Vertrauenswürdig, meinte zumindest Pater Francis. Ruf sie an. Dazu ein Schreiben, dass er übergeben sollte. Das Schreiben war noch ungeöffnet.
Mateo setzte sich auf dem Rand seines schmalen Betts, das Licht der untergehenden Sonne fiel durch das Fenster und auf die frisch gekauften Sportschuhe und Kleidung, die er begann auszupacken. Er würde sich zurechtgemacht – ein schlichtes Poloshirt, eine saubere Chinohose, neue weiße Sneaker. Nicht übertrieben, aber respektvoll. Er wollte einen guten Eindruck hinterlassen.
Mateo nahm sein Handy, starrte einen Moment auf die Nummer, als könne sie ihm schon vor dem ersten Klingeln etwas über die Frau verraten. Dann schloss er die Augen, holte tief Luft – ein Gebet, ein Versprechen – und tippte die Nummer ein.
Das Freizeichen begann zu klingen. Es war kurz. Dann eine Stimme – neutral, fast mechanisch.
„Name und Anliegen.“
Mateo schluckte. „Mateo Alon. Ich bin neu in der Stadt. Ich soll mich vorstellen.“
Ein Moment Stille. Dann eine Adresse. Keine weiteren Fragen. Keine Erklärung. Pikes Place Market. Morgen. 14 Uhr. Du wirst abgeholt.
Am nächsten Tag stand Mateo zwischen Touristen, Fischständen und Straßenmusik. Die Geräusche der Stadt umgaben ihn, aber in ihm war es still. Er wartete. Bereit, sich zu zeigen. Bereit, gesehen zu werden. Bereit für das, was kommen würde.