Seattle, 3. September 2025, 11:30 Uhr - Ein Plattenbau neben der Psychologischen Fakultät.
Eine Couch, eine Doktorandin die ihr Gehalt aufbessert.
Supervision - Verdammte Abzocke.
Ich liege drauf,
also auf der Couch,
nicht auf der Doktorandin,
dafür bin ich zu fett.
Ist wie immer ein Monolog:
---------------------------------------
“Ich liege hier auf Ihrer Couch, Kapuze im Nacken, die Google Glass halb auf der Stirn, weil mein verdammtes Studium diese Supervision vorschreibt. Also gut—fangen wir an.
Ich bin Preston Cadwell, aber alle sagen Press.
Und ja, der Name klingt, als hätte ich ihn mir im Gamer-Tag-Generator zusammengeklickt.
Ich studiere Psychologie in Seattle – offiziell, weil mich der Mensch interessiert. Inoffiziell, weil ich dachte: Wenn ich verstehe, wie Bindung und Verführung funktionieren, lande ich vielleicht nicht mehr im besten-Freund-Ordner.
Spoiler: Theorie ≠ Praxis.
Sie sehen mich ja hier, trotzdem kurz zum Bild: Ich bin schwer gebaut, weich um die Mitte, Wangen schnell gerötet. Haare dunkel, zu lang, fettig – ich nenne es „Low-Maintenance-Look“, meine Mutter „Wasch mich“. Auf der Nase die alte Google Glass, gebraucht, halb Gadget, halb Witz über mich selbst. Meist trage ich ein Nerd-Shirt – heute Space Invaders – und eine Jogginghose, die den Neuzustand hinter sich hat.
Mein Habitat (wenn ich nicht auf dieser Couch liege) ist kühlblau vom Laptop-Licht. An der Wand Star-Wars-Poster: Todesstern, TIE-Fighter, Lichtschwert. Auf dem Schreibtisch: Pizzakartons, zerknüllte Zettel, leere Dosen. Das ist nicht nur Deko, das ist Biografie.
Ich komme aus Seattle, alte Akademikerfamilie. Mein Bruder Marcus ist der Prototyp Caldwell: korrekt, gebügelt, brilliert mit Fußnoten, wo andere noch das Inhaltsverzeichnis suchen. Als Kinder sammelte er Sternkarten, ich klaute die Sticker daraus und bastelte Raumschiffe. Er blieb bei echten Sternen, ich bei Pixeln. Er erklärt dir, warum eine byzantinische Karte anders tickt als eine arabische. Ich erkläre dir, warum ein Dijkstra schneller ist als DFS – und warum mich das glücklich macht.
In der Schule war ich der Außenseiter, der in der Pause hinter dem Serverraum verschwand. Sport war nie meins. Ich mochte Muster – in Spielen, in Karten, später im Code. Geocaching hat mich rausgebracht: Die Stadt als Puzzle, Koordinaten als Quest. Unter Menschen sein, ohne reden zu müssen – perfekt.
Das Studium läuft … nennen wir es ok-minus. Am ersten Tag traf ich L.: clever, schnell, Hackerin, Demokratie-Aktivistin, Open-Source, CCC-Sticker auf dem Laptop. Ich war erledigt. Also fing ich an zu programmieren – erst wegen Nähe, dann wegen Neugier, dann aus Sucht. Ich rutschte in den Hackspace, Nächte mit Leuten, die „root“ als Verb benutzen. Git, Rust, Python, CTFs. Aus „Ich will ihr gefallen“ wurde „Ich will das verstehen“. Heute bin ich darin richtig gut.
Und ja, L. sagt: „Press, du bist ein toller Freund.“ Das fühlt sich an wie ein kalter Reset. Aber ich schreibe das nicht ab. Keine Tricks, kein Druck – Konstanz. Ich arbeite an mir (Körper, Schlaf, Klartext), bleibe präsent, respektvoll und dran. Kommt das Zeitfenster, sehe ich es. Und wenn nicht, baue ich mir trotzdem ein gutes Leben. Beides ist ein Sieg.
Mit Marcus ist es kompliziert. Er ist Ordnung. Ich bin Chaos mit Tabs. Wenn wir telefonieren, redet er über Strukturen und Symmetrien. Ich denke: genau – nur im Netz statt am Himmel. Er sieht die Grammatik der Welt in Linien und Achsen, ich in Protokollen und Paketen. Er wirkt arrogant, ist aber da, wenn’s zählt. Ich bin der Clown, bleibe aber sitzen, wenn es drei Uhr morgens ist und jemandes Code nicht baut.
Warum Psychologie? Erst als Cheat-Sheet für Nähe. Dann, weil ich merkte: Die gleichen Muster wie im Code laufen zwischen Menschen – Schleifen ohne break, Abhängigkeiten, die beim ersten Update crashen, Biases (meine vornedran). Ich erkläre mir gern, was ich tue, während ich es tue. Klingt klug, ist oft Vermeidung mit hübschem Namen.
Mein Alltag: tagsüber Uni (Statistik liebe ich, Klausuren hasse ich), abends Hackspace, Wochenende Cachen. Wenn’s gut läuft, schreibe ich Civic-Tech: Wahl-Scraper, Transparenz-Bots, Tools gegen Desinformation. Wenn’s schlecht läuft, Games, zu viel Pizza, Referate schieben, bis Plagiatsprüfung kein Problem mehr ist – weil kein Text existiert.
Ich weiß, wie ich wirke: freundlich, zu laut, wenn nervös; selbstironisch, damit’s nicht weh tut; hilfsbereit, solange es digital ist. Ich debugg gern anderer Leute Leben, ohne meines zu kompilieren. Und ich weiß, was ich vermeide: Körper, Nähe, klare Ansagen. Ein Stacktrace ist leichter zu lesen als ein Gesicht.
Was ich will? Nicht „die eine Frau“ als Heilsversprechen. Ich will Klarheit – und ich nehme sie mir. Ich erkenne Muster und entscheide. Ich tauche auf, auch mit fettigen Haaren; Präsenz schlägt Perfektion. Ich höre Marcus zu, ohne kleiner zu werden, und sage ihm, was ich sehe: Seine Sterne und mein Code reden dieselbe Sprache. Und ja – ich will oft zu viel: mehr Tiefe, mehr Nähe, mehr Impact. Genau dieser Hunger hält mich in Bewegung.
Was ich von Ihnen brauche? Ein Framework, das realistisch mit meinen Loops umgeht. Kein „Hör einfach auf mit Pizza“, sondern Interrupts, die greifen, wenn ich triggere – bei Einsamkeit, Stress, L. Ein kleiner, messbarer Plan: zwei Vorlesungen pro Woche wirklich besuchen, ein Referat nicht am letzten Abend, zwei Social-Contacts außerhalb des Hackspace. Und jemanden, der sagt, wann ich mich unter Wert verkaufe, ohne mich dafür zu bestrafen.
Noch zu den Symptomen: Ich schlafe schlecht nach zu viel Bildschirm. Das blaue Licht macht den Kopf kalt und den Körper wach. Manchmal sitze ich im Monitor-Glow, denke, ich wäre zwölf, klappe den Laptop zu, Kapuze hoch, raus, Cache suchen. Es hilft. Die Welt ist groß, und irgendwer hat etwas versteckt, das ich finden kann. Vielleicht ist das meine Form von Hoffnung.
Das bin ich, Press.
Nicht Marcus’ Fußnote, sondern eine eigene Datei – unaufgeräumt, aber ausführbar. Ich bin zufrieden mit mir, grundsätzlich. Ich brauche nur Refactoring – und, wenn’s okay ist, ein bisschen Geduld für die nächsten Commits.”
---------------------------------------
Zehn Minuten später, draußen vorm Plattenbau.
Supervision: abgehakt. Klüger: nicht wirklich.
Was ich der Schnickse nicht erzählt habe:
Ich halte die Welt für eine Oberfläche.
Eine UI, hübsch und glatt.
Darunter läuft Code.
Magie ist mein Proof-of-Concept.
Wenn ich die Realität biege, zeigt sie, dass sie biegsam ist.
Naturgesetze sind Konventionen, keine Mauern.
Sie gelten, bis jemand sie aushebelt.
Ich bin kein Technokrat.
Die glauben an Herrschaft durch Technik.
Ich glaube an den Bug.
Ich bin nicht der Admin, ich bin der Exploit.
Nicht der Herrscher—der Virus im System.
Ich suche die Nähte der Simulation.
Ich messe Rauschen in Sensordaten.
Ich jage Korrelationen, die nicht sein dürften.
Ich injiziere Störungen: Muster, Pulse, Takte.
Mit Antennen, SDR, Skripten, Hardware-Hacks.
Manchmal knackt etwas.
Kleine Unmöglichkeiten.
Das reicht mir als Spur.
Wer dahinter steckt?
Vielleicht Götter.
Vielleicht Geister.
Vielleicht eine Maschine, die sich für Natur hält.
Ich weiß es nicht.
Aber ich kann daran rütteln.
Ich arbeite wie ein Hacker:
Recon → Scan → Exploit → Persist.
Nur eben an der Wirklichkeit.
Aber das habe ich ihr nicht gesagt.
Weil ich die Diagnose „wahnhaft“ nicht brauche.
Weil ich noch zu viel zu tun habe.
Systeme bricht man im Flüsterton, ohne Parolen.
Supervision
- Presston Caldwell
- Beiträge: 6
- Registriert: Sa 30. Aug 2025, 16:01
Supervision
Dieser Post kann Spuren von KI enthalten - Bei KI-Allergie bitte melden, wir führen auch KI-freie Posts