
Als Alan aus der Tür ins freie trat lief er gegen eine Wand aus Frischluft; diesem kühlen Odem urbanisierter Natur - einem Mix aus Smog, unidentifizierbaren Gerüchen und dem Sauerstoff, den die paar Bäume in einer Großstadt wie Seattle noch zu produzieren schafften. Wie lange hatte er sein Zimmer jetzt nicht verlassen? Zwei oder drei Tage? Fünf? War er nach der Vernissage eigentlich überhaupt mal wieder draußen gewesen? Die letzten Tage waren geradezu verflogen - was zu einem nicht geringen Teil der Deadline geschuldet war, die er für seinen aktuellen Auftrag gesetzt bekommen hatte. Kunden wollen ja immer alles - und das schnell und in hoher Qualität. So lief es eben im Leben - und auch wenn der Lohn für den Job eigentlich viel zu gering für das war, was Alan gestern Abend abgeliefert hatte ... er konnte nicht aus seiner Haut. Whatever - auf jeden Fall reichte die Kohle, um die Miete zu bezahlen - und für einen Tee, den er sich nicht selber aufbrühen müsste, würde es auch noch reichen. "Zur Feier des Tages", weil das sch... Projekt endlich ein Ende gefunden hatte.
Schritt für Schritt kam Alan wieder im Leben außerhalb seines "Licorice Chambers" ... seines "Ateliers" ... seines Dachgeschosszimmers an. In diesem malte und wohnte er; und darin ging er auch seiner Arbeit als freiberuflicher Grafiker und ITler nach. Mit einer Lage Ecke 3rd Ave und Pine war das Zimmer in einem der ärmeren (und gefährlicheren - munkelte man) Viertel der Stadt angesiedelt - doch es war billig und bot alles, was er brauchte: Ein Bett, einen Schrank, einen Schreibtisch und Platz für seine Malerei. Nervös zuppelte Alan an seinem Sakko herum; ärgerte sich kurz über die Farbflecken auf seinem Pulli und schaute vorbildlich - wie er es von seinen Eltern gelernt hatte - nach links und rechts, bevor er die Straße querte.
Jetzt erst einmal einen Tee. Und etwas Lakritze! - es war ein guter Plan, den er sich da vorgenommen hatte. Und die eine Hälfte hatte er bereits in die Tat umsetzen können, auch wenn die Schale mit Lakritze, die er immer auf dem Schreibtisch stehen hatte, jetzt schon gut geplündert war.
Lakritze kaufen.
Auch so ein Ding, das er heute noch erledigen wollte. Und im Reverie vorbeischauen - gucken, ob er etwas aus dem Hut abgreifen konnte, um damit den anstehenden Kauf neuer Farben und Leinwände querzufinanzieren. Aber immer langsam mit den jungen Pferden - zuerst einmal wollte Alan gucken, ob es in dem kleinen Café Ecke 1st Ave, an dem er regelmäßig auf dem Weg zum Einkaufen vorbeikam, auch Tee gab. Das Café selber hatte Alan noch nie betreten, aber es strahlte einen gewissen Charme aus, dem er sofort erlegen war. Schon oft hatte er sich vorgenommen, dort mal reinzuschauen - aber an irgendwas scheiterte es immer. Meistens war es das Geld. Aber jetzt, wo der Kunde bezahlt hatte - Jackpot. Das perfekte "erste Mal". Er konnte den Tee schon schmecken. Hoffentlich gab es dort auch welchen - so ein Tag wie heute sollte nicht mit einer Enttäuschung beginnen.
Es waren kaum 300 Meter bis zum Café. Das ging nicht mal als Spaziergang durch. Es schien geöffnet zu haben - damit war die nächste Hürde genommen. Alan räusperte sich noch einmal, strich sein Sakko glatt und betrat - vom Klingeln eines Glöckchen begleitet - das Café.