Emerald City

"Die Leute bezeichnen mich zumindest als Maler!" Alan muss lachen. "Ich male das, was mein Herz mir sagt - ich folge da keiner klaren Linie. Irgendwann schlägt die Inspiration zu und ich werde nervös, wenn ich sie nicht auf die Leinwand bringe. Unterrichtet habe ich noch nicht, weil ich mich auch selber nicht unbedingt an all das halte, was man in der akademischen Ausbildung so lernt - ich mach' das eher instinktiv. Aber wenn du Interesse hast, kann ich gerne versuchen dir ein wenig beizubringen. Kaligraphie ist ein guter Anfang - wer eine Feder führen kann, kann auch mit einem Pinsel umgehen!"

Noch während Alan sprach nahm er dankend den Flyer der Asiatin entgegen. Schnell überflog er ihn und dachte dabei auch noch einmal über die Antwort nach, die er Maddy kurz vor seinem Gespräch mit Masamune gegeben hatte. Ja, er fand es auch merkwürdig, dass die Welt so klein war und so viele bekannte Gesichter an diesem Ort zusammenkamen - aber er fand generell sehr viel merkwürdig, in den letzten Tagen. Vielleicht war es ein Zufall. Vielleicht war es kein Zufall. Diesen Gedanken weiterzuspinnen war aber nicht zielführend. Es fehlten einfach zu viele Puzzleteile. Die mussten erst gefunden werden, bevor man vielleicht später doch einmal - im Schaukelstuhl sitzend und Kekse essend - darüber nachdenken könnte, wie viel Zufall tatsächlich an den Ereignissen dieser Tage beteiligt war.

<Lotus-Sutra? Glückseligkeit? Frieden?> Alan musste sich Mühe geben, nicht unterbewusst die Stirn zu kräuseln oder gar die Nase zu rümpfen. Was war das? Eine Sekte? Die Zeugen Buddhas? Budtology? Die Japanerin, die sich Maddy gegenüber als Hifumi vorgestellt hatte, schien wohl ähnliche Schwierigkeiten wie Alan dabei zu haben, diese ganze "Erwachen-Sache zu verdauen. Alan war sich bis heute nicht sicher, ob er vielleicht nicht doch verrückt war - aber zumindest war er nicht so verrückt, dadurch gläubig geworden zu sein. Jeder reagiert auf eine andere Art und Weise auf das Unerklärliche, nicht? Und diese Hifumi - sie schien den leichtesten Weg gewählt zu haben, indem sie sich in den Glauben flüchtete. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Möglicherweise hatte sie die Sekte auch selber gegründet und nutzte nun ihre Magie, um ihre Ziele zu erreichen. Das wäre ein cleverer Schachzug - aber auch ein triftiger Grund dafür, dass Alan sie nicht in sein Freundebuch würde schreiben lassen, wenn dem so wäre. <Whatever.> Mutmaßungen. Hohle, leere Mutmaßungen. Alan tat ihr bestimmt Unrecht - auf die eine oder andere Weise. Und dafür schalt er sich.

„Schön dich zu sehen. Ich hatte gar nicht damit gerechnet so viele bekannte Gesichter zu treffen.“ riss Liam ihn aus seinen Gedanken.

"Oh, das gebe ich zurück! Ich bin froh, dass du hier bist. Ich dachte schon, ich wandle alleine auf dunklem Pfad ... tut gut zu wissen, dass dem nicht so ist und ihr beide auch hier seid! Das hätte ich ehrlich gesagt nicht erwartet ... wisst ihr mehr über diesen Ort, als ich?" - ein Blick von Liam zu Maddy und zurück. Worte, denen ein aufrichtiges Lächeln folgt.

Für einen kurzen Moment verengt Hifumi ihre Augenbrauen sich und ballt ihre Fäustchen angesichts von Masamunes Einwurf. Aber dann entspannt sie ihre Haltung wieder und gibt sich betont liebenswürdig.

"Das ist eine sehr verkürzte Darstellung. Ich habe mein ganzes Leben dem Lotus-Sutra und seinen Interpretationen gewidmet, samt einem universitären Abschluss in Buddhologie und Nichiren-Studien."

Angesichts von Alans etwas skeptischem Gesichtsausdruck beim Studieren des Sektenflyers wendet sie sich ihm halb zu.

"Eine Beschäftigung, bei der man sich sehr viel damit beschäftigt, den vielschichtigen und kryptischen Symbolismus zu entschlüsseln und den Sinn und die Struktur dahinter zu identifizieren. Es hat mir sehr dabei geholfen, diese geheime Welt der Magi zu verstehen, und wie sie mit unserer dreifachen Welt verbunden ist.

Auch wenn Sie meinen Glauben nicht teilen, werden Sie diese Fähigkeiten und Techniken sehr nützlich finden - besonders, wenn Sie noch neu in dieser geheimen Welt sind."

Liam ging sich durch die Taschen in der Hoffnung irgendwann, irgendwo vielleicht einen Kugelschreiber eingesteckt zu haben, kam aber zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis.
„Hat einer von ihnen vielleicht einen Stift den ich mir kurz leihen könnte?“
Seine Hoffnung ruhte ein bisschen auf Alan. Aber vielleicht war es auch nur ein unbegründetes Vorurteil von einem Maler einen Stift zu erwarten.

Um sich dem Wortwechsel zwischen Hifumi und Masamune ein Stück weit zu entziehen – Er wusste einfach zu wenig über das Thema um sich sinn voll eine Meinung bilden zu können – griff er einfach direkt Alans Frage auf und hob in der vagen Andeutung eines Achselzuckens die Schultern.
„Elena Black hat mir den Club als Treffpunkt der magischen Gemeinschaft ans Herz gelegt. Und da ich bisher kaum Jemanden kenne dachte ich, ich gehe hier mal vorbei.“
In diesem Moment rasteten zwei Zahnräder in seinem Kopf hörbar ineinander und begannen sich zu drehen. Der Gedanke kam ihm so faszinierend spät, dass er sich beinahe dafür schämte. Wenn Maddy und Alan auch hier waren… dann bedeutete das vermutlich, dass sie auch Magi waren.

"Eine verkürzte Ansicht, die ausreichend ist. Man muss nicht mit langen Worten erklären, wenn das Offensichtliche vor einem liegt."

Er schloss für sich die Diskussion damit und griff endlich zum Sake.

"Tomodachi to no sake wa saikou da. Kenpai!"* Dabei prostete er in die Richtung der Jungmagier und vor Allem auch zu Hifumi. Dann wendete er sich wieder Alan zu.

"Die alten Samuarai versuchten sich Landschaften einzuprägen und anschließend mit dem Rücken zu ihr das Bild zu malen. Es ging dabei darum die Wahrnehmung für Details zu schärfen. Waren dort 5 oder 8 Seerosen auf dem Teich? In welcher Formation flogen die Vögel am Himmel? Und welche Form hatte die Wolke? So wurde der Verstand scharf für Ereignisse im Umfeld bei der Schlacht. Intuition ist dort wichtiger als Akademie. Von daher würde ich mich freuen ein wenig von dir lernen zu dürfen."



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*Nichts geht über einen Drink mit Freunden. Prost!

Maddy hielt sich vorerst beobachtend im Hintergrund. Sie versuchte schlau aus den hier Anwesenden zu werden. "Hier" sagte sie leise, als sie Liam vorsichtig von rechts am Ellenbogen antippte und ihm den Kugelschreiber hinhielt, der auf ihrem Tagebuch gelegen hatte.

Es war Maddy nicht ganz klar, wie die Magi zueinander standen. Waren sie sich alle freundlich gesinnt oder waren sie Rivalen? Innerlich seufzte sie. Wem konnte sie vertrauen und wem nicht. Sie fühlte sich zunehmend unsicher und doch hatte sie nun einige Anhaltspunkte für die magische Welt. Kontakte, die sie zu Rate ziehen konnte und einen Ort, an dem sie Magi kontaktieren konnte. Maddy lächelte. <Und einen Ort, an dem es fantastische Getränke gibt. In doppelter Hinsicht!> Still nahm sie ihr Glas auf und trank einige kleine Schlucke, während sie sich noch immer fragte, ob die Zusammenkunft so vieler Jungmagi wirklich reiner Zufall war.

Alan hob die linke Augenbraue, als er Hifumi lauscht. Ob sie wohl Gedanken lesen konnte? Oder hatte er beim Lesen des Flyers wieder mal einen seltsamen Gesichtsausdruck gemacht? Das kam schon öfter vor - wenn er sich mit einer Sache beschäftigte, schienen seine Gesichtsmuskeln ein Eigenleben zu entwickeln. Seine Ex Debbie hatte sich immer darüber lustig gemacht - und das nicht auf die nette Art, was dazu führte, dass Alan sich jetzt schon Gedanken darüber machte, wie er mal wieder geguckt haben könnte.

"Danke..." - was hatte sie gesagt? Kryptischer Symbolismus? Die geheime Welt der Magi?

Alan beschloss, diese Information in einer der Schubladen seines Verstands aufzubewahren. Vielleicht würde sie ihm noch einmal wichtig werden - wenn er den Drang dazu verspüren sollte, eine Schublade mit der Aufschrift "Achtung, Sekte!" öffnen zu wollen. In den letzten Tagen waren so viele seltsame Dinge geschehen, dass er den Gedanken jetzt nicht pauschal mit 'nein' beantworten konnte.

"Über was für Fähigkeiten und Techniken sprechen wir hier?" platze es aus ihm heraus, während sein Unterbewusstsein die Schublade unter lautem Quietschen einen Zentimeter weit herauszog. <Scheiß Neugier!>

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"Lustig, dass du es sagst, Liam - mir wurde der Club auch empfohlen - ist vielleicht das Standardprozedere für Neue? ..." Alan rieb' sich nachdenklich das Kinn. "... und mein Antrieb war der gleiche, dem du auch gefolgt bist. Du weißt ja, dass ich hier in Seattle auch irgendwie eher allein auf großer Flur stehe. Es freut mich wirklich sehr, dass ich dich hier getroffen habe!" <Wie kommt es, dass wir Neuen alle am gleichen Tag zur gleichen Zeit hier aufschlagen?> "Vor ein paar Tagen habe ich noch gedacht, ich habe den Verstand verloren - und es wird irgendwie nicht besser, wenn man mit niemandem drüber reden kann. Ich hab' mich echt verloren gefühlt ... wollte eben schon fast einen Rückzieher machen, als ich vor der Tür stand. Und jetzt bist du hier - und Maddy auch! ... Leute, ihr gebt mir gerade echt die Sicherheit, die ich gebraucht habe. Danke dafür!"

"Komodachi to no sake wa saikou da. Kenpai!" erwidert Hifumi Masamunes Trinkspruch, ihre Coke Light anhebend. Selbst in einer Barumgebung greift sie nicht zum Alkohol. Wahrscheinlich ist schon die Cola eine ausgeflippte Getränkewahl für die Verhältnisse der Betschwester, für einen Abend wo sie mal so richtig auf den Putz hauen will.

"Ah, es ist gut dass Sie bereits Miss Elena Black getroffen haben, Mister Carpenter." Etwas mehr an die Runde als nur an Liam gewandt ergänzt sie: "Ich bin ihre Schülerin" offenbart die junge Japanerin über sich. "Ich bin noch keine Chakravanti - oder Euthanatos, falls Sie mit dem europäisierten Namen der Tradition vertrauter sind - aber die Ideen und Konzepte dieser Tradition und meiner Religion stehen sich sehr nahe."

Zu Alans Frage führt Hifumi aus, mit sichtlicher Begeisterung für das Thema: "Ich habe mich intensiv mit den buddhistischen Schriften, vor allem aber nicht nur, dem Lotus-Sutra befasst. Sowohl intellektuell, auf akademisch-theologischer Ebene, als auch in die Meditation versenkt sie einfach auf mich wirken zu lassen. Wie sowohl Nichiren Daishonin als auch weniger bedeutende Mönche und Gelehrte sie interpretiert haben, welche religiösen Kunstwerke sie inspiriert haben und welcher Symbolismus darin verschlüsselt sind, all diese Dinge.

Und ich habe schon vor meinem Erwachen davon gewusst, dass es mehr als die Form und Verlangen unterworfenen Welten der vier Menschheiten, der Tiere und der hungrigen Geister gibt, sondern dass es weitere Welten sowohl darunter, wie die Höllen, als auch darüber, wie die Welt der Devas, gibt. Oder auch daneben, wie Welten der drei anderen Menschheiten."

Diese Ausführungen waren wahrscheinlich wirr für jemanden, der nicht bereits mit östlichem Mystizismus vertraut war, und am Ende würde Hifumi noch mit ihrem Vegetarismus brechen und jemandem ein Ohr abkauen, wenn man sie nicht bremste.

„Danke Maddy.“
Liam nahm den Stift entgegen und fischte nach kurzem Zögern den Bierdeckel unter seinem Glas heraus und notierte darauf Emeralds Nummer für Masamune. Ziemlich old school irgendwie, aber… Visitenkarten. Papier schien heute in Mode zu sein.
Er gab den Bierdeckel an den Japaner weiter und den Stift an Maddy zurück. Dann wand er sich mit einem Lächeln an Alan.
„Das Gefühl kenne ich. Ich habe lange überhaupt nicht verstanden was mit mir passiert ist.“
Seine nächsten Worte waren nicht spezifisch an Alan, sondern an die Runde gerichtet.
„Wie lange wisst ihr schon, dass ihr Magi seid? Mein Erwachen liegt jetzt fast ein Jahr zurück. Juni letztes Jahr um genau zu sein.“

Alan blinzelt nervös, als Hifumi mit ihrem Redeschwall loslegt; angreift - als müsse er sich dagegen verteidigen. <Es war ein Fehler, die Schublade zu öffnen! Ein Fehler, ein Fehler, ein Fehler! Er hätte es besser wissen müssen! Er HATTE es besser gewusst! Aber er wollte ja nicht auf sich hören! Die Neugier war stärker! Blöde Neugier! Neugier bringt die Katze um! Ist dies die Büchse der Pandora? Ohhhhh nein - schlimmer! Dies ist die Schublade der Hifumi!>

Was erzählte sie da nur? Vier Menschheiten? Hungrige Geister? Devas? Nichi-waszumfick?

Alan war verwirrt - auch wenn die Begeisterung der jungen Asiatin irgendwie ansteckend wirkte. Er spürte, wie sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen - und das, obwohl die Substanz von Hifumis Worten nicht in seinem Geist hängenblieb. Es war, als fuhr ein Schnellzug durch seinen Schädel - durch das linke Ohr hinein und aus dem rechten Ohr hinaus. Und aus den Fenstern winkten Leute und riefen ihm etwas zu, was er nicht verstand, weil es im Rattern der Gleise unterging. Doch die Geschwindigkeit, mit welcher der Zug fuhr ... der Geschwindigkeitsrausch - er erfasste auch Alan, den stillen Beobachter ... und riss ihn mit!

"Ich habe keine Ahnung, wovon Sie da sprechen, Mylady - aber ich freue mich für sie, dass sie sich so darüber freuen! Jeder Mensch braucht eine Bestimmung im Leben. Und das gilt bestimmt auch für hungrige Devas, vier Nichi-irgendwasse und verlangende Tiermenschen. Weiter so!" er hob den rechten Daumen und grinste.

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Auf Liams Frage wirkte Alan sichtlich erschrocken. "Oh, so lange schon? Bei mir sinds nur ein paar Tage ... und so wirklich angekommen bin ich noch nicht - mein Verstand sucht immer noch eine logische Erklärung für dies alles."

Da Alen sich nicht für die Erklärung der Malkünste der Samurai zu interessieren schien und momentan lieber dem Irrsinn der Kultistin widmete, schüttelte er den Kopf und wendete sich den anderen Beiden zu.

"Etwa ein Jahr, Liam-San." Immer wieder nippte er am Sake und nickte dann dem Barkeeper anerkennend für die Auswahl zu.

"Ich wurde überfallen und bei meiner Verteidigung erwachte die Magie. Mein Avatar hatte die Kontrolle übernommen und mich vor der Technokratie, welche mich angriff, beschützt. Seitdem lerne ich bei Meron-sensai, der Meisterin der Akashayana hier in Seattle."