Der beste Kaffee der Stadt [Madison, Liam, Mateo]

[Liam Carpenter]

Mateos Handy versuchte sich per Benachrichtigungston bei seinem Besitzer Gehör zu verschaffen. Eine SMS von Liam:

Hast du heute Nachmittag Zeit?
Hab ein paar WG Angebote und Wohnungsanzeigen zusammengesucht.
Vielleicht ist was für dich dabei.
Außerdem kann ich dir dann zeigen wo du den besten Kaffee der Stadt bekommst.
15 Uhr Haltestelle: 2nd Ave & Cherry St.

[Mateo]

Mateo starrte auf das Display seines Telefons. Eine SMS.
Nicht von einer App, nicht von einem Dienstleister, sondern von einem echten Menschen.
Er konnte sich kaum erinnern, wann das zuletzt passiert war. Die letzten Nachrichten, die ihn erreicht hatten, kamen über Messenger-Dienste – WhatsApp, Signal, Viber. Automatisierte Erinnerungen, Push-Benachrichtigungen, Systemmeldungen. Aber eine SMS? Das war fast old school.

Er lächelte leicht.
*Cool, dank dir. Klar habe ich Zeit. Ich bin um 15 Uhr da,* tippte er zurück.

Dann öffnete er die Karten-App, prüfte die Verbindung zur Haltestelle 2nd Ave & Cherry St. und rechnete durch, wann er losmüsste, um pünktlich zu sein. Der Bus war die beste Option – zuverlässig, unauffällig. Das Skateboard würde er trotzdem mitnehmen. Es war Teil von ihm, wie ein verlängerter Gedanke, ein Stück Freiheit auf Rollen.

Gegen halb zwei machte er sich fertig.
Er entschied sich für ein schlichtes Outfit: ein schwarzes T-Shirt mit einem dezenten Print – ein stilisierter Berg, der in einen Sternenhimmel überging. Darüber eine offene, olivgrüne Hemdjacke, die schon einige Geschichten erlebt hatte. Dunkle Jeans, leicht abgetragen, und bequeme Sneaker, die sich gut mit dem Board vertrugen.

Das Skateboard klemmte er sich unter den Arm, den Rucksack über die Schulter.
Er verließ das Haus, stieg in den Bus, ließ sich durch die Stadt tragen. Die Geräusche waren gedämpft, die Menschen in ihren eigenen Welten. Mateo saß am Fenster, das Board neben sich, und beobachtete die Straßen, als wären sie Teil eines größeren Musters, das sich langsam entfaltete.

Um zehn vor drei stieg er aus.
Die Haltestelle lag in der Nachmittagssonne, das Licht warm und weich.
Er lehnte sich gegen das Schild, das Skateboard locker an sein Bein gelehnt, und wartete.

[Liam Carpenter]

Liam stieß wenige Minuten später zu ihm. Satt mit dem Bus kam auf seinem schon etwas in die Jahre gekommenen aber immer noch höchst zuverlässigen Drahtesel angeradelt. Es war hellblau und hinten auf dem Gepäckträger ersetzte eine von Spanngummis gehaltene grüne Klappkiste den Korb der da normalerwiese drauf sein sollte. Auf die breite Stelle des Rahmens hatte jemand bunte Sticker in Fischform geklebt. Eine Ergänzung die recht neu zu sein schien.
Wie üblich trug Liam Jeansjacke, Shirt und Trekkinghose. Hinten in besagter Klappkiste lag seine Umhängetasche.
Er bremste neben Mateo und stieg ab.
„Hey, schön dass du es einrichten konntest. Hast du gut hergefunden?“
Der Busfahrplan war in einigen Ecken der Stadt ziemlich unübersichtlich und lud geradezu dazu ein sich zu verfahren wenn man sich nicht auskannte.

[Mateo]

Mateo zuckte leicht mit den Schultern, ein stilles Lächeln auf den Lippen.
„Klar. So viele Dinge mach ich ja noch nicht. Und ich kenn auch nicht wirklich viele Leute hier. Da bin ich froh, wenn’s mal ein bisschen Ablenkung gibt.“

Er ließ den Blick über die Straße schweifen, dann zurück zu Liam.
„Dank Google Maps ging’s einigermaßen. Ich hab mich nur einmal fast in die falsche Richtung setzen wollen. Die Öffis hier… ich gewöhn mich langsam dran. Aber es ist noch nicht ganz mein System.“

Sein Blick wanderte zum Fahrrad, zu den bunten Fischstickern, die sich über den Rahmen zogen wie kleine Zeichen aus einer anderen Welt.
Er schmunzelte.
„Wenn ich nicht wüsste, dass du ein Problem mit Christen hast, würd ich fast glauben, du bist ein aktiver Gemeindemensch.“

Er deutete auf die Sticker.
„Das letzte Mal, als ich solche Fische gesehen hab, waren sie auf den Autos von Gemeindemitgliedern. Meistens neben einem Aufkleber mit 'Jesus lebt' oder 'Gott segne dieses Fahrzeug' oder was ähnlichem.“

Mateo ließ die Worte in der Luft stehen. Ein stiller Moment entstand, in dem die Stadt um sie herum weiterfloss – Autos, Stimmen, das Rauschen der Spätnachmittagssonne.

Dann sah er Liam wieder an, offen, neugierig.
„Also – wo ist dieser legendäre Kaffee, von dem du gesprochen hast?“

[Liam Carpenter]

„Ich finds auch ziemlich unübersichtlich. Insbesondere die Buspläne… deswegen fahre ich lieber mit dem Rad, wenn ich die Zeit habe.“
Und wenn man sich von den Hauptverkehrsstraßen fern hielt dann ging das in Seattle auch ganz gut und ohne sich in Lebensgefahr zu bringen.
Er blickte auf die Sticker hinunter und zuckte schmunzelnd mit den Schultern.
„Das haben meine Kommilitonen verbrochen. Lass nie deine Sache mit deinen Mitstudenten allein. Die kommen immer auf blöde Ideen. Am zweiundzwanzigsten August ist nämlich Internationaler Tag der Fische, wusstest du das?“
Und zur Feier des Tages waren eine ganze Menge Dinge der Sticker-Attacke der Fachschaft Meeresbiologie zum Ofer gefallen.
„Hier lang.“
Er führte Mateo ein Stück die Straße herunter und bog dann rechts in eine kurze Querstraße ab. Dort wo diese auf die nächste parallele Hauptstraße stieß lag Aunty´s Coffeebar.

[Mateo]

Mateo kratzte sich am Kopf, die Bewegung langsam, fast nachdenklich.
„Es gibt wirklich einen Gedenktag der Fische?“

Er ließ den Blick kurz über die bunten Sticker auf dem Fahrrad gleiten, als würden sie ihm nun mit ganz anderen Augen erscheinen.
„Das wusste ich nicht. Aber ja… irgendwie macht’s Sinn. Es gibt ja für alles einen Tag. Damit man mal innehält. Aufmerksamkeit lenkt. Also… ja. Fische verdienen das auch.“

Ein leises Lächeln schlich sich auf sein Gesicht.
„Ich wusste nur, dass der 22. August der Gedenktag der Himmelskönigin Maria ist. Aber das hier… ist irgendwie eine ganz andere Art von Feierlichkeit.“

Er trat neben Liam, das Skateboard locker unter dem Arm.
„Ich fahr auch lieber mit dem Board. Oder mit dem Rad – wenn ich wieder eins hab. Aber wenn’s zu weit ist, dann tut’s der Bus auch. Manchmal ist es einfach praktischer, auch wenn ich mich noch nicht ganz an das System gewöhnt hab.“

Sie gingen weiter, die Straße entlang, das Licht weich und golden zwischen den Häusern. Mateo folgte Liam, die Schritte ruhig, offen für das, was kam.

„Ah… da hinten ist es schon, oder?“
Er deutete auf die Ecke, wo sich die Querstraße öffnete und das Schild von Aunty’s Coffeebar in der Nachmittagssonne glänzte.

Ein Ort. Ein Versprechen. Und vielleicht – der beste Kaffee der Stadt.

[Liam Carpenter]

Der Gedanken, dass die Fischaufkleber christlicher Symbolik ähnelten war Liam nicht gekommen. Und vermutlich auch keinem seiner Kommilitonen. Dafür lebten sie alle viel zu sehr in ihrer Meeresbiologen-Blase.
„Der internationaler Tag der Fische wurde ins Leben gerufen um auf Probleme wie Überfischung und Artensterben in aquatischen Lebensräumen aufmerksam zu machen. Wir veranstalten immer einen Informationsnachmittag zu diesen Themen.“
Eine Aktion an der er sich in diesem Jahr auch mit einem Plakat beteiligt hatte in der er den Einfluss steigender Wassertemperaturen im arktischen Meer auf die Fischpopulationen dargestellt hatte.
„Ja genau. Vorne an der Ecke.“
Er schob sein Rad in den Fahrradständer und schloss es ab. Im Vergleich zu anderen amerikanischen Großstädten war Seattle relativ Radfahrerfreundlich und die Stadtverwaltung bemühte sich sehr darum entsprechende Infrastruktur zu schaffen.
Er öffnete die Tür und hielt sie für Mateo auf.
„Dann mal reinspaziert.“

[Mateo]

Mateo nickte langsam, während er neben Liam stand und ihm beim Abschließen des Fahrrads zusah.
„Ja, das macht Sinn. Ich hab ein paar Berichte gesehen – über die Verschmutzung der Meere, besonders dieses Mikroplastik. Wie es sich in den Körpern der Tiere ansammelt, wie es sich durch die Nahrungskette zieht.“

Er sprach ruhig, aber mit Nachdruck.
„Und die Auswirkungen des Klimawandels… die steigenden Temperaturen, das Abschmelzen, die Verschiebung der Strömungen. Das ganze Ökosystem gerät aus dem Gleichgewicht.“

Er sah Liam an, kurz und ernst.
„Ich find’s gut, dass du dich darum kümmerst. Dass du aktiv bist. Viele reden nur. Aber du machst etwas.“

Als Liam die Tür aufhielt, trat Mateo an ihm vorbei, nickte dankend.
„Danke.“

Drinnen war es warm, der Duft von frisch gemahlenem Kaffee lag in der Luft. Stimmen, leises Lachen, das Klirren von Tassen.

Mateo blieb einen Moment stehen, ließ den Blick durch den Raum schweifen.

[Madison Reid]

Mateo betrachtete das Café. Hier und da waren vereinzelt Tische besetzt, aber es wirkte nicht sehr voll.

Nachdem Liam die Tür losgelassen hatte, läutete hinter ihnen auch bereits das kleine Glöckchen und kündigte ihr Eintreten an. Plötzlich kam ein dunkelhaariger Schopf hinter der Theke nach oben geschossen. Maddy erkannte Liam sofort "Hey, Liam. Du hast Glück. Dein Lieblingstisch ist gerade freigeworden." Dann erkannte sie, dass Liam nicht alleine war. "Oh, Du bist nicht alleine!" Sie strahlte. Was auch immer sie hinter der Theke getan hatte, schien sie angestrengt zu haben. Sie wusch sich die Hände und während sie sich mit dem Unterarm die Haare aus dem Gesicht wischte, sprach sie weiter. "Setzt Euch! Ich bin gleich da!"

[Mateo]

Mateo grinste Liam an, während sie gemeinsam ein paar Schritte ins Café machten.
„Sag mal… gibt’s eigentlich ein Café in dieser Stadt, in dem du *kein* Stammgast bist?“

Sein Ton war neckend, aber freundlich – ein stilles Kompliment, das zwischen den Zeilen mitschwang.

Er ließ den Blick durch den Raum schweifen, nahm die entspannte Atmosphäre auf, das warme Licht, den Duft von frisch gebrühtem Kaffee, der sich mit dem leisen Klappern von Tassen vermischte.

Als Maddy sich die Hände abtrocknete und sich wieder aufrichtete, trat Mateo einen Schritt näher zur Theke.
„Dank Ihnen. Und hey – brauchen Sie Hilfe mit irgendwas?“

Er sagte es nicht aufdringlich, sondern beiläufig, wie jemand, der es gewohnt ist, mit anzupacken, wenn’s nötig ist. Sein Blick war offen, aufmerksam.

Dann wandte er sich wieder Liam zu, deutete mit einem leichten Nicken in Richtung des freien Tisches. „Das ist also dein Lieblingstisch.“