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Die Chipmunks

Verfasst: Do 25. Sep 2025, 23:07
von Adrian Williams
Es war mittlerweile ganz schön kalt geworden. Der Wind pfiff eisig durch Adrians Collegejacke, seine Hände waren in den Taschen vergraben, während er zügigen Schrittes über den grauen Bürgersteig ging. Das allerdings nicht, weil er fror. Sondern weil seit zwei Jahren Hektik jeden seiner Tage erfüllte und er gar nicht mehr langsamer gehen konnte.
Sein Blick lag am Boden, nahm die abgeplatzten Ecken der Bodenplatten und ihre über die Jahrzehnte immer schiefer stehenden Flächen aber nicht wirklich wahr. Was er wahrnahm war "Battle Beast", deren Sängerin gerade eine absurde Ballade darüber sang, wie sie während einer Weltraumreise auf einer fremden Welt gestrandet war und den Weg nach Hause suchte. Das Wichtige war aber nicht der Text, auch wenn der ihn manchmal durch seine Blödheit aufheiterte - und er war sich sicher, dass es auch so gedacht war. Das Wichtige waren die Wut und die Kraft, die in Noora Louhimos Stimme lagen. Sie schrie und gröhlte an seiner Stelle. Gegen all den Trübsinn und die Hoffnungslosigkeit, füllte seine Batterien wieder auf.

Was für ein Scheißtag schon wieder. Er war kein Stück mit seinen Studien weitergekommen. Stattdessen war er nur im Labor gewesen und hatte geschraubt. Das machte so auch schon lange keinen Spaß mehr. Aber er brauchte die Kohle dringender als einen kleinen Schritt in Richtung Abschluss. Oder redete er sich das nur ein, weil er keine Lust mehr auf Theoriebücher hatte und mit der Arbeit prokrastinierte? Es war zum Verrücktwerden. In seinem Kopf herrschte Chaos. Ein Labyrinth aus halbfertigen Überlegungen, von denen die meisten negativ auszugehen drohten.

Er öffnete die Tür zu seinem Wohnhaus und polterte die Treppe hinauf, deren hohlen Widerhall im Hausflur er dank noise cancellation nicht wahrnahm. Auch den Gruß seiner Nachbarin erwiderte er nur, weil er wusste, dass er gekommen sein musste "Abend Mrs. McDowll!" Jetzt erst nahm er die Kopfhörer runter und lächelte die ältere Dame freundlich an, die gerade vor ihrer Tür gefegt hatte.
"Schönen Abend noch, mein Lieber." hörte er sie noch sagen, ehe sie sich in ihre Wohnung zurückzog. "Ja, für Sie auch, Mrs. McDowell."
Er schob den Schlüssel ins Schloss, zog die Tür zu sich ran, damit er ihn auch drehen konnte und öffnete sie mit einem Ruck. Denn sie klemmte. Subtilität war da nicht zu machen. Jeder wusste, wenn er nach Hause kam. Manchmal fragte er sich, ob ihm dadurch Dinge entgingen.

"Heeey, bin zu Haaause!" rief er langgezogen in die Wohnung, aus deren tieferem Inneren ein gemütliches, gelbliches Licht drang. Er schlüpfte aus seinen Sneakers und schob sie an die Wand, streifte die Jacke ab und warf sie über die Lehne eines Stuhls in der Nähe der Tür. Eine helle Stimme kam aus der Wohnung zu ihm zurück "Heeey!"

Re: Die Chipmunks

Verfasst: Fr 26. Sep 2025, 10:59
von Adrian Williams
Das klang doch gar nicht schlecht. Adrian lief an der offenstehenden Klotür vorbei und stieg dabei mit einem großen Schritt über einen schwarzen Rucksack, der mitten im Flur lag. Die Schlafzimmertür mit dem Taylor Swift Poster war verschlossen.

Es war keine besonders ausladende Wohnung. Im Prinzip war es nur ein Zimmer mit einer Küchenniesche und eben das Schlafzimmer, in das man gerade so ein Doppelbett hineinbekam – wenn man vorher mit Buddelschiffen geübt hatte.

Im Wohnzimmer stand eine gut durchgesessene Couch, die Adrian second hand gekauft hatte. Sie hatte nur runde Ecken und einen grauen Bezug, der überall schon aufgerieben war. Davor lagen drei Zeitschriften auf dem Boden, sowie eine Ansammlung von Kleidungsstücken. Auf dem Hocker, der eigentlich immer als Beistelltisch umfunktioniert wurde, lag das leere Papier eines Schokoriegels. Sein Blick fiel darauf, er seufzte. ”Was?! Ey, du kommst schon wieder SO spät. Ich hatte Hunger. Ich hab‘ immer noch Hunger.” Ihre Stimme hatte von der Tür aus noch so süß geklungen. Seine liebe, kleine Schwester. Jetzt war sie schon wieder auf Konfrontationskurs.

”Ich hab‘ nichts gesagt.” versuchte er, mit diplomatischer Kürze. Aber er wusste, dass es nicht durchgehen würde.

”Ich hatte Hunger! Und Zucker bringt Energie. Außerdem war’s nur einer.”

”Hey, ich hab‘ ja nichts gesagt. Aber… im Kühlschrank muss doch noch was sein. Und ich weiß, dass du schon ganz gut kochen kannst, Chipmunk.” er schmunzelte, versuchte sie mit einer Mischung aus charmanter Stichelei und Kompliment wieder reinzuholen.

Jetzt reichte es. Ihre beiden schwarzen Zöpfe flogen wild um ihren Kopf, als sie sich mit aller Kraft aus dem viel zu weichen Sofa stemmte, um an Adrian vorbeizustürmen.

”RAAAAH!” stöhnte sie wütend und ging zum Kühlschrank um ihn aufzureißen. ”Ja hier, toll. Ich mag keine Scheiß Hot Dogs.”

Mit einem tiefen Durchatmen erschien Adrian in ihrem Rücken. Gerade rechtzeitig, um die aus dem Kühlschrank fliegende Packung Würstchen aufzufangen.

”Was, wieso nicht?“ verteidigte er seinen Einkauf.

”Eh? Weil da TOTE TIERE drin sind, du Froschhirn! Das ist voll daneben. Ich fress‘ ja auch nich‘ Mrs. McDowall, bloß weil die aus Fleisch is‘.”

Ein ungesehenes Augenrollen hinter ihrem Rücken und ein weiteres, tiefes Durchatmen. ”Okay.” begann er so ruhig wie irgend möglich. ”Pancakes?”

Es verging ein langgezogener Augenblick, in dem beide einfach so dastanden. Sie mit der offenen Kühlschranktür in der Hand, er abwartend dahinter.

”Sollst mich nich‘ „Chipmunk“ nennen. Bin kein kleines Kind mehr…” kam es verbittert, aber irgendwie vom vorherigen Wutausbruch erschöpft.

”Sorry, hab ich vergessen.” gab Adrian zu und drückte sanft ihre Schulter. “Cathy.“ Sie machte die Türe wieder zu und drehte sich herum, um ihn zaghaft zu drücken, aber nur kurz. Dann ging sie zurück zum Sofa und murmelte

“Ape-rian“

Er schmunzelte erleichtert. Vorerst war die Bombe entschärft. Gespielt warnend begann er ”Das hab ich gehört. Also Pancakes?”

Sie hatte schon wieder ihr Smartphone vor der Nase und sagte knapp, aber süßlich “Jap.“

”Weißt du, du kannst mir echt helfen.”

”Nope.” sie schaute nicht einmal auf, während sie ihren Freunden Messages tippte.

Er überlegte kurz, ob er sie noch mit etwas aufziehen sollte, weil sie sich aufführte wie ein Teenager, obwohl sie gerade einmal 11 war. Aber stattdessen machte er sich an die Pancakes. Genieß den Frieden, solange er anhält.

Re: Die Chipmunks

Verfasst: Di 28. Okt 2025, 22:07
von Adrian Williams
Während Adrian an der Pfanne stand, konnte er seine Kopfhörer nicht aufsetzen. Die Gefahr, dass die Noise Cancellation Cathy wegcancelte war zu groß. Und dann flogen Dinge durch die Gegend. Den Fehler würde er kein zweites Mal machen. Aber er brauchte seine Dosis digitales Ventil. Darum strichen seine Finger über das Display seines Smartphones, das neben dem Herd geparkt lag.

19:37 Adrian: Nuclear Meltdown prevented.
19:39 Vance: Geiger count?

Er drehte sich zum Sofa um, wo seine Schwester noch immer tief versunken in ihre eigenen Chats war, dann wieder zurück. Der Pancake war fertig und landete auf dem Haufen.

19:39 Adrian: 10?
19:40 Vance: Ist doch gut.

Neuer Teig floss in die Pfanne und breitete sich zu einem unförmigen Gebilde aus.

"Boa diese Bitch! Ich dreh durch!" kreischte es plötzlich in seinem Rücken und Cathy warf ihr Smartphone in die Ecke. Adrian schielte unsicher zu ihr rüber. Sollte er sie darauf ansprechen? Sie schäumte einen Moment mit verschränkten Armen vor sich hin, dann krabbelte sie zu dem pinkfarbenen Rechteck hinüber und schnappte es sich um wütend darauf einzuhacken.

19:41 Adrian: Kurzer Anstieg auf 250. Situation weiter instabil...
Der Pancake musste gewendet werden.
Keine neuen Nachrichten auf dem Smartphone.
Adrian atmete durch und schaute rauf zur Decke, wo eine kleine Spinne zusammen mit einem eingewickelten Päckchen in ihrem Netz hing. Sie tat mindestens so viel für die Sauberkeit hier, wie er. Der Pfannkuchen kam wieder auf den Haufen.
Noch ein Blick auf das Smartphone. Nichts.

19:43 Adrian: HQ?

Hatte Vance das Interesse verloren? Sich auch ans Abendessen gemacht? War ja auch Zeit. Die Pancakes waren auch gleich fertig. Also holte Adrian Teller aus dem Schrank und stellte sie auf den kleinen Tisch neben der Küche. Praktischerweise musste er nicht weit laufen, weil der Raum so klein war.
Das Smartphone leuchtete auf. Vance hatte einen Link geteilt. Eine Anleitung für Nagellack im Taylor Swift Style "Eras Skittle Mani".

19:45 Vance: Folgen Sie der Anleitung um die Bombe zu entschärfen
19:45 Adrian: Dude, ne nukleare Kettenreaktion is keine Bombe!
19:46 Vance: Shuddup! Du bist der Chemiker nich ich
19:46 Adrian: Alter, das is PHYSIK und ich bin Bioingenieur. Passt du eigentlich nie auf?
19:47 Vance: :lol: Folg einfach der Anleitung, alles wird gut
19:48 Adrian: ok thx. Jetzt geh arbeiten! :-* <3
19:48 Vance: thx dad :-* <3

Er schnaufte grinsend und öffnete die Anleitung, während er die Pancakes zum Tisch brachte.

Re: Die Chipmunks

Verfasst: Sa 6. Dez 2025, 16:14
von Adrian Williams
Pancakes wanderten vom Zentrum des Tisches nach außen, auf die beiden Teller der Geschwister. Ahornsirup plätscherte darüber. Besteck klapperte.
Die Bekämpfung ihres Hungers lockerte Cathys Zunge und sie fing an, von der Schule zu erzählen. Und davon, was ihre größte Rivalin Rebecca über sie verbreitet hatte. Seine eigene Schulzeit war noch nicht so unglaublich lang her, dass er sich nicht in sie hineinversetzen konnte. Wie gerne hätte er ihr gesagt, wie unwichtig und fern diese Spielchen eines Tages sein würden. Klar, es gab auch an der Uni eigenwillige Persönlichkeiten. Professoren, die ihren Wissensvorsprung und ihre Position zur Schau trugen, Studenten, die auf andere herabsahen. Aber im Vergleich dazu war die Schule immer noch wie eine Schlangengrube. Doch das wollte Cathy nicht hören. Für sie war das alles real, unmittelbar und alltäglich. Und das musste er akzeptieren. Er hörte sich also an, was sie zu sagen hatte und nickte gelegentlich interessiert.

Schließlich war er dabei, das Geschirr in die Spüle zu stapeln um es später abzuwaschen. Cathy reichte es ihm vom Esstisch rüber in die Küche. "Ich wollt mir mal wieder die Nägel machen, bist du dabei?" meinte er beiläufig.
Cathy seufzte. War das wieder so eine Klammerei ihres großen Bruders? Hinterher noch eine Gute-Nacht-Geschichte und ein Kuss auf die Stirn?
"Eras Skittle Mani." fügte er hinzu, für Kenner wie er hoffte. Das Mädchen hielt inne, guckte ihn an. Ein Eichhörnchen, das noch misstrauisch über die dargebotene Nuss war. Der große Bruder ignorierte sie vorerst und räumte weiter. Sollte es erst mal in ihr arbeiten. Er wusch sich kurz die Hände und trocknete sie ab. Dann marschierte er zum Badezimmer und kramte im Schrank sämtliche Nagellackfarben zusammen, derer er habhaft werden konnte.
Er baute sie alle auf dem Hocker vor dem Sofa auf, eine von Cathys Zeitschriften formte eine halbwegs stabile Tischplatte. Seine Schwester kam widerwillig näher, denn sie war neugierig geworden, traute sich aber nicht zu fragen.

"Kennst du's?" er schaute sie fragend an.
"Hä?! Klar." Cathy schüttelte energisch den Kopf. Sie hasste es, belehrt zu werden.
Adrian zog sein Smartphone vor und öffnete den Link, den Vance ihm geschickt hatte.
"Cool... ich steck da nämlich nicht so drin. Ist das so richtig?" er deutete auf das Display, wo ein Foto vom fertigen Look zu sehen war und fing an, der Beschreibung nach auf die einzelnen Nägel zu deuten, die alle eine andere Farbe hatten. Jede stand für ein Album von Taylor Swift.
"Taylor Swift" in Minzgrün,
"Fearless" in sparkling Gold,
"Speak now" in Pflaume,
"Red" in Rot,
"1989" in Türkis,
"Reputation" in Schwarz,
"Lover!" ging Cathy dazwischen und zeigte auf den Nagel in glitzerndem Pink,
"Folklore" fuhr Adrian beim grauen Nagel fort, seine deutende Hand wurde aber weggeschoben
"Jaja klar, weiß ich doch. Und das ist Evermore" in beige
"Und das hm?" sie hielt den Text zu, damit Adrian beim letzten Nagel in Navyblau mit funkelnden, türkisen Punkten nicht ablesen konnte, wartete aber kaum ab, bis er hätte antworten können "Midnights. Das ist überhaupt das geilste Album. Sie wird einfach immer besser. Den Style hat sie das erste Mal auf der Tour getragen." sie fing an, die vorhandenen Lacke zu inspizieren.
"Auf der Tour?" meldete Adrian sich zaghaft. "Na Eras, Affenhirn. Darum heißt das doch so. Gaah." sie warf theatralisch die Hände in die Höhe und schaute hilfesuchend zur Decke. Als würde gleich irgendein strafender Gott diesen Kretin mit dem Blitz erschlagen.