Emerald City

Die Toilettentür im Bioengineering-Gebäude schwang auf.
Warmluft rauschte nach.
Press trat heraus.

Unter dem Arm: eine Antistatiktüte mit drei USB-Sticks.
Einer: nur Katzenbilder.
Zwei: Papers zu Bioengineering.
Innen vorbereitet: melden sich als Tastatur an.
Tippen blitzschnell Befehle.
Unbemerkt.

In der anderen Hand: Flugblätter.
„Wählt L.“ in fetter Schrift.
Druckfarbe noch warm.

Der Flur glänzte.
Neon brummte.
Wegweiser: UW Bioengineering → Labore, Imaging Suite.
Poster zu Zellkultur und PPE.
Isopropanol in der Luft. Ein Hauch Kaffee.

Press bog um die Ecke.
Blick auf die Schilder, nicht nach vorn.
Die Seitentür flog auf.
Schritte—schnell.

Kein weißer Kittel.
Bunt: Türkis, Gelb, Magenta.
Kopfhörer am Hals.
Schulter im Schwung.

Aufprall.

Die Antistatiktüte riss auf.
Die drei USB-Sticks sprangen heraus, klackerten über den Linoleum.
Einer schlitterte bis zum Türschild, einer drehte Kreisel, einer verschwand unter der Bank.

Der Papierstapel bekam Luft.
Flugblätter fächerten sich auf, wirbelten in den Neonzug.

„Wählt L.“ flatterte über den Gang, wie kleine, helle Rechtecke.

Ein paar klebten kurz an der Wand, lösten sich wieder.
Ein Bogen segelte Richtung Augendusche, ein anderer landete vor dem PPE-Poster.

USB Sticks präparieren = 3 Erfolge

"WHOA!!!" platzte vollkommene, pure Überraschung aus der getroffenen Person hervor. Seine Arme gingen instinktiv nach oben, als müsste er sich schützen. Dann linste er um sich. "Scheiße... Sorry, ich..." er guckte auf die Tür hinter sich und schob sie ins Schloss um sie aus dem Gang zu entfernen.
"Sorry... " jetzt wo sich die Überrumpelung langsam verflüchtigte, schaute er sich an, wen er da erlegt hatte und streckte helfend die Hände aus. Dann stockte er, wieder überrascht, aber nun sprachlos für einen Augenblick.
"...Presston?!" der Typ aus dem Supermarkt? Er kramte in seinem Gedächtnis. Maple Hall. Psychologie und Kognitionswissenschaften. Was machte der hier? Sein Blick wanderte über den Boden, während er versuchte, die vorliegenden Informationen zusammenzuführen. Da lag schon wieder einiges auf dem Boden. War Presston immer beladen unterwegs?
"Mann, das tut mir leid. Ich hätte nicht so durch die Tür springen sollen. Was machst du hier?"
Er hob einen der Flyer auf "Wer ist L.?" vielleicht verteilte er hier nur die Flyer. Stand eine Wahl an? Meine Güte, war Adrian abgehängt.

„AH FUCK!“

Völlig verdattert blickte sich auch Press um.

„PASS DOCH AUF!“

Dann erkannte auch er, wem ihn da umgerannt hatte.
War sprachlos.
Presste dann ein „Oh …“ heraus.

„Ist schon in Ordnung.“ versuchte er die Situation irgendwie zu retten.

„L. ist ne gute Freundin von mir. Sie kandidiert für den ASUW.
Dachten dieses Jahr beginnen wir früh.“

Auf dem Flugblatt in Adrians Hand stand etwas kryptisch: „Pragmatismus > Phrasen.“

Adrian nickte verarbeitend und warf noch einen Blick auf den Flyer. Besonders kunstvoll oder geistreich war der Wahlspruch nicht gerade. Aber das passte natürlich auch irgendwie zur Aussage. War vielleicht Absicht. "Cool.... Cool, dass du ihr hilfst, die zu verteilen." Er gab Presston den Flyer zurück und fuhr sich einmal durch die Haare. Die Situation überforderte ihn ein wenig.
Wann hatte er sich das letzte Mal mit Unipolitik beschäftigt? Und was sollte er mit Press jetzt anstellen, den er schon wieder völlig aus der Bahn geschubst hatte?
"Wofür setzt ihr euch denn ein? Oder Livia?" er nickte in Richtung des Ganges hinter sich "Willst du 'n Kaffee, oder musst du gleich weiter?"

"Ja, ähhh … Moment …“

Er begann die Flyer und die Sticks aufzusammeln.
Rappelte sich dann wieder auf.

"Klar, ähhh … such eh die Cafeteria …“

Dann war da endlich eine Frage auf die er antworten konnte.

"Transparenz und Open Data.
Und gegen den ganzen Filz hier.“

Er zuckte mit den Schultern.

"Kann doch nicht sein, dass man nur was reißen kann, wenn man reich weiß und n Mann ist.“

Schließlich betrachtete er ihn schief - waren alles Prädikate die auf ihn zutrafen.

"Was machst du eigentlich hier?“

Adrian half ihm bei der Auflesung seiner sieben Sachen. Hatte ihn ja immerhin umgerannt. Dann nickte er Presston zufrieden zu. Ein kleines Kaffeeritual war immer gut um runter zu kommen. Also führte er seinen Gast durch die Gänge und hörte sich dessen politisches Programm an.
"Cool!" Transparenz und Open Data, das war echt gut. Aber bei dem zweiten Thema verdüsterte sich sein Gesicht. "Da sagst du was... Was wollt ihr machen? Studiengebühren senken?" Er wirkte neugierig und eher so, als stecke er in seliger Unwissenheit darüber, wie zutreffend die Beschreibung auf ihn war. Eher ein bisschen aufgebracht über die Ungerechtigkeit.

Sie erreichten einen Raum mit ein paar Sitzmöglichkeiten und einer Einbauküche. Auf einer Arbeitsfläche neben dem Cerankochfeld stand eine historisch relevante Filterkaffeemaschine. Ein wenig mehr als bodendeckend war noch alter Kaffee darin. Den schüttete Adrian in eine frische Tasse aus dem Hängeschrank darüber. Während er mit Presston redete, spülte er die Glaskanne aus und bereitete einen neuen Durchlauf vor.
"Ich bin Assistent im Labor. Repariere das wissenschaftliche Equipment. Eigentlich präpariere ich auch Zellkulturen." er seufzte "Komm aber nicht oft dazu." er winkte ab "Naja, ist auch wichtig, dass alles funktioniert, weißt du? Sonst kann keiner arbeiten. Und nicht alle haben nen Draht zu Schraubenschlüsseln und Punktschweißgeräten."

Der Kaffee rann unter blubbernden Geräuschen Tropfen um Tropfen durch den Filter. Adrian nahm die Milchtüte von der Arbeitsfläche und goss einen Schluck in seinen Kaffeerest.

„Hmm…“ er grinste schief.

„Nur für die dies nicht bezahlen können.“
„Reiche weiße Jungs, wie Marcus und ich, sollten finde ich schon selber zahlen.“

Er zuckte mit den Schultern.

„Das Problem ist, das vieles an der UW nur über Kontakte läuft.“

Er zählte auf. Folgte Adrian in die Küche.

„Alumni, Studentenverbindungen, Wirtschaftssponsering, ist halt nicht immer fair.“

Dann grinste er, als Adrian von der Arbeiterei sprach.

„Equipment reparieren klingt viel cooler, als mit der Pipette rumzuhantieren.“
"Was für Technik habt ihr denn so ?“

Schließlich blickte er zum Tisch, zückte einen Haufen Flugblätter.

"Meinst du es ist ok, wenn ich ein paar davon hier lasse?“

Adrian nickte. "Ja, klingt sinnvoll." dann würde die Uni trotzdem nicht ganz auf ihre Einnahmequelle verzichten müssen. Die Vorstellung, weniger Gebühren zu zahlen, klang zu gut um wahr zu sein. Bis so etwas umgesetzt würde, war der Zug für ihn vermutlich schon abgefahren.

Er winkte beiläufig ab zu Presstons Aufzählung. Mehr als ein paar solcher Leute waren ihm schon begegnet. Wer erfolgreich im Studium war, hatte evolutionär bedingt schon gute Chancen, solche Verbindungen zu haben.

Technik war ein viel angenehmeres Thema. Klar, manchmal hatte man das Gefühl, ein Gerät wollte einen gezielt in den Wahnsinn treiben. Aber wenigstens wurde es dabei nicht laut oder aggressiv. Und letztlich war ihr Verhalten immer rational, auch wenn man das erst hinterher verstand.
Er lächelte, geschmeichelt von Press' Interesse "Wir machen hier CAT, also Computer-assisted tomography. Kennst du wahrscheinlich." jetzt begann er, aufzuzählen
"Da brauchst du ne Röntgenquelle, n Detektor, Hochspannungsversorgung, Patiententisch... Naja und Computer natürlich. Das frisst so die meiste Zeit..." er zuckte mit den Schultern. Wofür brauchte man keinen Computer?
"Drüben bei den Zellkulturen ist es bisschen langweilig. Da ist hauptsächlich der CO2-Inkubator, die Zentrifuge und die Mikroskope. Der Rest ist Handarbeit mit Glasbesteck."

"Klar, die Tür steht sowieso ständig offen. Ich hab nichts gesehen." er deutete grinsend auf den Tisch, wo Press seine aufrührerischen Flugblätter gern platzieren konnte.

”Ah krass” antwortete Press, während er den Haufen Flugblätter auf dem Tisch platzierte.

"Das klingt super spannend.”
"Was ist da für ein Betriebssystem drauf?”

Er schien ehrlich begeistert.

”Boar, ich bin ein bisschen neidisch."
"Wo hast du gelernt mit den Dingern umzugehen ?” fragte er.

"Ach naja..." er machte eine schwach abwinkende Geste, weil es ihm im Grunde auch schmeichelte, dass jemand seine Arbeit spannend fand. Vielleicht hätte er sich gern wieder selbst davon überzeugen lassen.

"Das läuft alles auf Windows 11." vielleicht roch er schon, wohin diese Frage zielte, denn er fügte hinzu "Herstellersoftware. Die schreiben das alles für Windows, ist einfach das Verbreitetste. Die stehen ja auch in Krankenhäusern und so."

"Mein Dad hat mich immer mitmachen lassen, wenn er was repariert hat. Also so kleine Sachen, weißt du?" er schmunzelte "Einmal hat er 'n Radio auf dem Flohmarkt geholt und es zu Hause aufgemacht. Einfach so um zu gucken, ob er's wieder hinkriegt. Ich durfte ihm die Elektronikbauteile anreichen, als er gelötet hat." er zuckte mit den Schultern um das Thema nicht weiter zu vertiefen. "Später haben meine Mom und ich uns dann zusammengetan um so Sachen zu machen." Jetzt lächelte er nur noch aus Förmlichkeit.

"Aber Psychologie und Kognition klingt für mich auch ziemlich cool. Ich fand's schon immer interessant, wie im Gehirn... naja, wie die Welt quasi entsteht, die wir wahrnehmen, weißt du? Was Leute denken und warum."