Erwachen
"Edith...ich glaube es ist hoffnungslos...ich bin ein hoffnungsloser Fall..."
sagte der Mitt-Dreißiger der vor ihr auf ihrer grauen Designercouch saß und nervös mit seinen Händen spielte.
Er war nicht gutaussehend, er hatte etwas Übergewicht, aber er war reich und zuvorkommend. Freundlich. Ein guter Fang, doch irgendwas stieß die Frauen, die Edith ihm vermittelte immer ab. Sie hatte diese natürlich auch nach ihrer Einschätzung gefragt, doch es war so simpel und gleichzeitig frustrierend, wie er es einfach war. Zu simpel. Er hatte nichts. Kein Charisma, keine Interessen, keine Ausstrahlung.
Sicherlich gab es auch Frauen, denen das egal war, die mit ihm anbandeln würden nur allein seines Geldes wegen, doch das wollte Edith nicht, und diese Beziehungen hatte Gerard schon gehabt. Sie hatte es ihm glücklicherweise ausgeredet, sich weiter an solche Frauen zu binden. Goldgräberinnen. Denn was für eine Beziehung sollte das schon sein? Sie Trophäenfrauen und er der Goldsack. Natürlich wurde er damit nicht glücklich.
Nur war er nun auch nicht glücklich.
Sie hatte ja alles versucht. Zunächst ein Umstyling, Sport, Diät, ein anderer Lifestyle. Nicht nur Arbeit, auch etwas für den Körper und Geist tun. Sie hatte auch gedacht, das würde ihn interessanter machen, aber das tat es nicht. Er hatte ja kein wirkliches Interesse an Yoga oder Meditation.
Sie hatte ihm gesagt, sich Hobbies zu suchen. Typische wie andere Männer in seinem Alter. Motorräder, Autos oder Fitness, aber das interessierte ihn alles nicht. Bücher? unterhielten ihn, aber das war es auch schon. Dasselbe mit Filmen. Wenn man ihn fragte, wie er denn einen empfunden hatte, den er jüngst gesehen hatte, so konnte er nichts dazu sagen, außer: gut oder schlecht. Keine Differenz, keine Analyse, keine Emotion.
Edith musste es vielleicht langsam akzeptieren, dass es für Gerard keinen Deckel gab, zumindest nicht in Seattle und auf ihrer Plattform.
Doch der Mann tat ihr furchtbar leid. Verdiente nicht jeder Liebe? Aufrichtige Liebe?
Warum war es für manche so schwer?
Edith streckte ihre Hand nach seiner aus und berührte diese leicht fürsorglich.
"Nicht aufgeben Gerard. Die Richtige ist irgendwo da draußen, manchmal braucht es einfach Glück und vor allem Geduld, bis man sich über den Weg läuft."
"Ich habe aber keine Zeit mehr. Ich werde doch nur älter und unattraktiver mit jedem Jahr das verstreicht." Er presste frustriert die Kiefer aufeinander und starrte auf den gläsernen Couchtisch vor sich auf dem ein Glas Wasser stand.
Wasser, denn Geschmack hatte dieser Mann auch nicht für irgendwas.
Edith wollte ihm gut zu reden, nicht nur weil es ihr Job war, auch weil sie wirklich nicht wollte, dass er verzweifelte, doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass es vielleicht wirklich für immer so war. Dass Gerard für immer allein sein würde.
Vielleicht war es besser, wenn er sich damit arrangierte, als wenn er ewig weiter suchte.
"Oft kommt die Liebe auch dann, wenn man sie nicht mehr erwartet."
Das waren alles leere Phrasen. Natürlich konnte es geschehen, aber wie hoch war die Wahrscheinlichkeit? Ja wie hoch? In Seattle lebten knapp 750 tausend Menschen. Im ganzen Bundesstaat noch so viel mehr. Davon waren knapp 50% Frauen, aber wiederum auch 40% nicht in seiner Altersrange. Wieder um nur 25% waren im Finanzsektor angestellt und damit auf einem ähnlichen Einkommensstand wie Gerard.
So wurde es immer dünner, wenn er sich nicht die erst beste anlachen wollte.
Sollte selbst unter denen die übrig waren, keine einzige dabei sein? Oder hatte sie sie einfach noch nicht gefunden? Schließlich war ihr eigener Pool auch nur ein Teil von diesen Menschen.
Wie gern würde sie einfach ihre Fühler ausstrecken können und jemanden mit reinem Willen finden. Auf eine Karte zeigen und wissen wo sie suchen musste. Wie diese Pendelspinner, die auspendelten wo sich vermisste befanden.
Sie seufzte und verabschiedete Gerard mit noch mehr gut gemeinten Sätzen für diesen Tag.
Es war kurz nach 10, als sie an ihrem Schreibtisch saß mit dem zweiten Glas Wein schon und sich druch die Profile ihrer Kundinnen klickte, um noch einmal zu überdenken, wen sie Gerard vermitteln konnte. Daneben auf ihrem Tisch hatte sie ein ausgedrucktes Blatt mit Gerards Daten und seinem Bild.
Frustriert sah sie zu der gerahmten Karte von Seattle die dekorativ an ihrer Wand hing. In Gold und Weiss, auf dunkelgrauer Wand.
Sie lachte, vom Alkohol berauscht und warf ihren Stift auf die verdammte Karte. Das war natürlich dumm gewesen, er fiel ja einfach runter.
Es gab keine Liebe für Gerard, das war die bittere Wahrheit. Wie für so viele nicht.
Und sie konnte nichts dagegen tun. So viele Jahre hatte sie sich damit beschäftigt, Menschen zueinander zu führen und sie hatte duchaus auch Erfolge vorzuweisen, doch hier versagte sie. Und das ärgerte sie ungemein.
Und wenn Gerard keine Liebe fand...würde sie die auch nie?
Sie blickte auf das Foto von sich und ihrem Mann Tom, das sie auf ihrem Schreibtisch hatte. Ihr Hochzeitsbild. Sie aren wirklich mal verliebt gewesen. Sie hatte ihn geliebt, aber nun war da nichts mehr und sie wusste nicht warum. Warum verblasste Liebe? Warum konnte sie nicht ewig andauern? Oder hatte sie sich nicht genug bemüht? Doch jede Minute die sie miteinander verbrachten war nur Routine, da war kein Gefühl udn wie sollte man es erzwingen?
Edith trank das Glas aus und noch ein weiteres.
Sie war hier wieder allein diese Nacht, wie so viele. Tom war auf Geschäftsreise. Als Vertriebler eines Pharmaunternehmens. Sie freute sich ja, dass er so viel Erfolg hatte, aber sie hatten nichts mehr voneinander. Warum gign sie nicht? warum suchte sie sich nicht ihre Liebe? Weil sie dann zugeben müsste nicht gut in ihrem Job zu sein, das wusste sie. Wie würde das aussehen, wenn Edith Blunt, Dating-Expertin und Liebesengel selbst single wäre, mit 53 Jahren...
War sie also auch zu einem lieblosen Leben verdammt?
Warum war es nicht so einfach? Warum konnte Tom nicht bei ihr sein? Warum konnte er sie nicht lieben und sie ihn? Wo war das Band hin, dass sie geknüpft hatten?
Wo war er jetzt ,was tat er jetzt? Betrog er sie?
Trunken legte sie ihren Kopf auf ihren Armen ab auf dem Schreibtisch und versuchte die negativen Gedanken zu vertreiben.
Gerard, es war um Gerard gegangen, nicht sie...
Wer gehörte zu Gerard? Wo war die Frau, die sein Leben vervollständigen sollte?
Edith atmete langsam aus und ein, konzentrierte sich auf ihre Atmung, wie sie es im yoga gelernt hatte. Sie musste ihre GEdanken beruhigen. Ihr war auch schon ziemlich schlecht vom Alkohol.
geistesabwesend kritzelte sie Kreise und Linien auf Gerards Bild. Wo ist das Ende deiner Linie? Wen knüpfen wir daran fest...hm, Gerard?
Welch eine Zeitverschwendungnichts würde hier entstehen, wenn sie nur betrunken auf ihrem Schreibtisch lag. Aber sie war Edith Blunt, sie musste erfolgreich sein. Sie kannte jeden von Rang und Namen, sie verband und verknüpfte und fand...
argh..mit einem frustrierten Aufschrei warf sie den Stift von sich und schleuderte dabei damit ein kleines Kästchen mit Visitenkarten vom Tisch.
Verärgert bückte sie sich danach und die erste Karte, die vor ihren Füßen lag war die eines kleines netten Cafes, wo sie lange nicht mehr gewesen war. Sie wusste gar nicht warum sie eine karte davon hatte. Aber sie war da früher oft mit Tom gewesen.
Sie hatten wunderschöne kleine Törtchen und andere Backwaren.
Ein Gefühl der Nostalgie überkam sie und für einen Moment hielt sie die Karte in der Hand, strich mit den Fingern über ihre Kante.
Morgen würde sie einmal dorthin gehen. Warum nicht.
Der Abend war beendet, die Nacht tilgte allen Kummer und brachte jedoch einen Kater mit.
Am nächsten Tag saß sie kurz nach der Mittagszeit in besagtem Cafe. Es hatte sich verändert. Die Dekoration war etwas moderner geworden, aber das Angebot war noch dasselbe und genauso gut. Sie hatte sich einen Kaffee bestellt und ein kleines Sahnetörtchen, dass sie schon zur Hälfte gegessen hatte.
Sie war nervös, warum wusste sie selbst nicht. Sie spielte mit dem Stift in ihrer Hand, was sie sonst nie tat. Sie ließ die Mine rein und rausklickern bis es sie selbst störte, dann legte sie ihn weg, nur um ihn ein paar Sekunden später, wieder in der Hand zu halten und zu drehen.
Geistesabwesend begann sie auf den Tisch zu kritzeln.
Es waren die Linien des Straßennetzes, Schritt für Schritt, als würde der Stift einem bestimmten Ablauf folgen.
Jetzt.
Sagte irgendwas in ihr und Ediths Augen sprangen zum Eingang. Da trat eine Frau herein. Ende Dreißig hätte Edith geschätzt. Sie kannte sie nicht, hatte sie nie gesehen. Sie trug einen dünnen schwarzen Sommermantel und eine leichte weisse Hose zu grüner Bluse. Gut gekleidet. Business-like. Nun das war in dieser Gegend nicht ungewöhnlich.
Edith stand auf und ging zum Tresen, stellte sich hinter die Frau und sah zu wie die Frau die Auslage an kleinen Teilchen begutachtete.
"Die Macrons hier sind die besten die Sie in der Stadt finden werden" sprach sie sie dann einfach an und lächelte freundlich.
Die Frau war zunächst überrascht aber lächelte dann ebenfalls.
"Wirklich? Ich kenne mich noch nicht so aus. Bin gerade erst hergezogen."
"Wirklich?" fragte Edith mit einem noch breiteren Lächeln.
Perfekt.
Sie streckte ihre Hand aus. "Mein Name ist Edith Blunt, wenn sie mal jemanden brauchen, der Ihnen die Stadt zeigt, bin ich gern dafür bereit."
"Valentina Hally...freut mich Edith..."
Edith streckte ihr ihre Visitenkarte hin. "Rufen sie ruhig an. Keine Scheu." Sie lachte.
Eine Wahrscheinlichkeit von 55%, dass sie es würde. Wer vertraute schon Fremden? Doch Edith war alt, wie eine nette Omi,sie strahlte keine Aggressivität oder Gefahr aus. Zudem sah sie gepflegt und seriös aus und wer allein in einer neuen Stadt war, würde soziale Kontakte zu schätzen wissen. Und dazu gab es die Wahrscheinlichkeit, dass sie single war und allein deshalb Edith anrufen würde.
Valentina nahm die Karte und sah darauf. "LoveLive Inc....ceo..." murmelte Valentina.
"Das gehört ihnen? Diese Plattform?" Sie hatte offensichtlich davon gehört.
"Genau. Ich helfe Menschen sich zu finden, könnte man sagen, auch außerhalb des Internets."
Valentina lächelte und wedelte mit der Karte."Dankeschön."
Dann wandte sie sich der Theke wieder zu, bestellte die Macrons zum Mitnehmen, und einen Cappucino und verließ das Cafe.
Edith ging zurück zu ihrem Stuhl.
Mit einem zufriedenen Lächeln aß sie ein weiteres Stück ihres Kuchens.
"Ha, siehst du, man muss nur Glück haben." sagte sie obwohl da doch niemand war, doch für einen Moment dachte sie einen Mann auf dem Stuhl ihr gegenüber sitzen zu sehen, der erfreut lächelte.
Wie Tom damals, nur war es nicht Tom. Natürlich nicht.
Da war aber auch niemand. Sie musste noch Restalkohol von gestern Nacht gehabt haben.
Edith brachte Gerard und Valentina zusammen und fürs erste sah es gut aus mit den beiden.
Nach und nach geriet sie immer wieder in Zufälle, die sie anderen Menschen näher brachte. Sie meinte irgendwann es wirklich fühlen zu können, diese Verbindung, wie ein Kribbeln, wenn jemand nah war. So wie wenn jemand hinter einem stand, den man zwa rnicht sehen konnte, aber spüren.
Und es war wie ein unsichtbares Band, dass sie an ihnen fühlen konnte. Besonders in ihrem yoga Kurs, da war es am stärksten. War es denn wirklich so, dass sie ihren Geist irgendwie geöffnet hatte?
Sie verbrachte danach einige Zeit mit ihren Freunden vom Kurs darüber zu sprechen, doch es schien ihr als würden sie es nichtlich genauso sehen. Als würden sie nur leere Phrasen wiederholen. Edith hatte gewusst, es einfach gewusst, dass ihre Freundin Cat nicht sofort nach hause fahren sollte. Sie hatte sie stattdessen noch zu einem Kaffee eingeladen und siehe da, auf der Route, die sie genommen hätte, stürtzte ein Strommast um.
Es war nicht so als könnte sie die Zukunft sehen, es war mehr nur ein Gefühl. Ein Gefühl dafür wer wohin gehörte. Was ihre Wege waren. Natürlich sagte sie sich zunächst, dass es reiner Zufall gewesen war. Doch mehr und mehr geschah und sie wusste, dass etwas mit ihr geschehen war, dass da mehr da draußen war, was man nicht einfach erklären konnte und so suchte sie im Internet auf Esoterikseiten nach Erklärungen, nach Menschen wie sie...