Treibender Lotus, springender Tiger [Masamune, Hifumi]

[Hifumi]

Eines Dienstag morgens um 08:00 Uhr findet sich Hifumi beim Kiyoshi-Dojo. Sie hätte auch früher gekonnt, wenn es rein nach ihr ginge - sie unterhielt einen disziplinierten Tagesablauf. Tukwila war aber nicht sonderlich gut angebunden, selbst wenn alles gut lief war sie anderthalb Stunden unterwegs nach Greenwood. Wie sie mittlerweile gelernt hatte, war der ÖPNV Amerikas eine Katastrophe verglichen mit ihrer Heimat, besonders da noch ein Umstieg involviert war. Und um 4 Uhr morgens wollte und sollte eine junge Frau auch nicht an einer Haltestelle in einem kriminellen Loch wie Tukwila herumstehen, nur um eine Chance darauf zu haben um Punkt 6 zur Öffnung an einem Dojo anzukommen.

Die junge Japanerin trägt ein dünnes gelbes Sommerkleid - morgens etwas luftig, aber so lange wie sie in den Bussen und Bahnen festsaß und festsitzen würde, würde es sich am Ende auszahlen.
Dazu schultert sie eine Sporttasche. Neben den angedrohten Pamphleten befindet sich darin ein Wechselsatz Sportkleidung aus zweiter Hand. Hifumi hatte etwas suchen müssen in den Thriftstores und auf Craigslist, aber am Ende fand sogar die sehr konservativ eingestellte XS-Frau etwas, worin sie sich präsentabel fühlen konnte[1]. Gepriesen sei das Lotus-Sutra!

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[Masamune]

Als die Japanerin das Dojo betrat, roch es aus der Ecke neben dem Empfang nach einem deftigen Frühstück. Vor Masamune und einer älteren Frau auf dem Tisch standen die Reste eines japanischen Frühstücks, Misosuppe, Reis mit rohem Ei, eingelegtes Gemüse, Algen, gegrillter Fisch und natürlich nattō - fermentierte Sojabohnen. Zudem gab es dazu grünen Tee.

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Beim Eintreten klingelte eine Glocke an der Türe, weswegen der Samurai sich erhob. Die Ältere lächelte freundlich und begann das Essen zusammen zu räumen, während Masamune ein wenig überrascht wirkte. Er eröffnete das Gespräch auf japanisch.

"Takahashi-san. Ich bin überrascht, dass du wirklich hergekommen bist... und erfreut zugleich."

"Du kennst die nette Dame, musuko"

"Wir haben uns schon einmal getroffen. Ich darf meine Mutter vorstellen? Kiyoshi Kimiko. Mutter. Das ist Takahashi Hifumi, richtig?"

Die ältere Japanerin verbeugte sich leicht, während Masamune sich an den Tresen legte.

[Hifumi]

Lächelnd verneigt Hifumi sich, zuerst zur älteren und damit respekterheischenderen Frau, danach erst zu Masamune.
Dabei schaut sie auch beiläufig auf deren Füße - nach japanischer Sitte hätte sie sich unmittelbar nach Eintreten die flachen schwarzen Ballerinas ausgezogen, aber angesichts der amerikanischen Kundschaft des Dojo wurde vielleicht ein westlicherer Umgang mit dieser Tradition gepflegt. Sie würde sich einfach stillschweigend an ihre Gastgeber anpassen.

Hifumi antwortet selbstverständlich auf japanisch.

"Kiyoshi-senpai, ich freue mich sehr darüber, dass ich Sie kennenlernen darf.
Mein Name ist Takahashi Hifumi. Ich stamme aus Fukui und bin erst vor einigen Wochen in die Gegend gezogen. Durch... Zufall habe ich ihren Sohn kennengelernt, der mir von dem Dojo hier erzählt hat."

Fukui war ein bißchen wie das Rüsselsheim Japans - eine kleine Großstadt geprägt von der Industrie. Im Krieg zerbombt und seelenlos schnell wieder aufgebaut, und damals wie heute bar jeglicher Sehens- und Denkwürdigkeiten. Ein Ort, für den man nicht einmal aus dem Fenster schaute, wenn man mit dem Zug durchfuhr.

Sie macht eine ausladende Gäste zum angebrochenen Frühstück und lächelt entwaffnend.

"Bitte, fühlen Sie sich nicht von mir gedrängt, ihr Frühstück abbrechen zu müssen. Ich muss mich ohnehin erst einen Moment sammeln - von Tukwila hier her zu reisen ist eine große Strecke."

Tukwila war ähnlich trist wie Fukui, aber mit viel mehr Drogen, viel mehr Abschaum und vor allem viel mehr Kriminalität. Die höfliche und etwas förmliche junge Frau mit dem Sommerkleidchen wollte da nicht so recht reinpassen, wenn man etwas Ortskenntnis hatte.

[Masamune]

Die Schuhwahl schien ideal. Schon im Eingangsbereich lag eine Matte aus, die durch das ganze Dojo bis in die privat Bereiche verlegt war. Offensichtlich gab Masamune mehr auf die alten Traditionen, als auf die westliche Kultur und legte Wert auf Authentizität.

"Mach dir keine Sorgen, Takahashi-kouhai. Wir sind gerade ohnehin fertig. Willst du noch etwas essen, Kind? Dann hole ich dir eine Schale und Stäbchen. Warum sagst du denn nicht, dass du Besuch erwartest, Masamune?"

Die Alte übernahm die Rolle der Gastgeberin - welche sich ohne Antwort umdrehte und die Sachen holte - , während Masamune ganz sachlich erklärte:

"Wir starten den Tag jeden Morgen um 6 mit Meditationsübungen. Anschließend gibt es Frühstück. Vor 8 ist in der Regel ohnehin selten ein Schüler hier."

Er schaute auf die Sporttasche.

"Du bist wirklich hier, um zu trainieren? Dort kannst du dich umziehen, wenn Mutter dich satt bekommen hat."

Seine Hand deutete auf die Türe zur Umkleide. Doch das Lächeln am Ende seiner Aussage versprach ein ausgiebiges Frühstück.

[Hifumi]

Nachdem sie sich einen Überblick über die Gepflogenheiten ihrer Gastgeber verschafft hat, trennt Hifumi sich von ihren flachen Ballerinas, darauf bedacht nicht die Matte zu beschmutzen.

"Ich bin hier, um mich zu üben, ja. Ich habe so etwas noch nie gemacht, also seid bitte nachsichtig und nicht zu grob mit mir.

Und bitte, Kiyoshi-senpai, ich will Euch keine Umstände machen, und ich will auch nicht zu schwer essen, ehe ich trainiere. Ich bin zufrieden mit den Resten, die ihr entbehren könnt."

Als ihr die Schale und die Eßstäbchen gebracht werden, hält sie einen Moment inne und umfasst ihre pinke Plastikgebetsperlenkette.

"Die Lichtstrahlen von Sonne, Mond und Sternen, die unsere Leiber laben, und die fünf Getreide der Erde, die unsere Seelen laben, sind allesamt Geschenke des Ewigen Buddha. Selbst ein Tropfen Wasser oder ein Körnchen Reis sind nichts anderes als das Ergebnis ehrbarer und schwerer Arbeit. Möge dieses Mahl und helfen die Gesundheit von Körper und Geist zu erhalten, und uns die Lehren Buddhas ins Gedächtnis rufen die vier Gefallen zurückzuzahlen -
an die drei Schätze Buddha, Dharma und Sanga;
an unsere Eltern und Ahnen;
an die Nation und Gesellschaft in der wir leben und zu Gast sein dürfen;
und an die gesamte Menschheit.

Möge das Mahl uns erlauben, unsere Kräfte in den hehren Dienst an andere zu stellen.

Nam-Myoho-Renge-Kyo."

Es war ungewöhnlich, dass eine Japanerin eine so bescheidene Zwischenmahlzeit mit einem Tischgebet bedachte.
Und spätestens die Schlußformel entlarvte sie auch gegenüber Uneingeweihten als eine Anhängerin der randständigen Nichiren-Sekten. Was mochte Mama Kiyoshi darüber denken, eine attraktive junge Frau die sowohl sehr höflich und bescheiden auftrat und insoweit eine wünschenswerte Schwiegertochter war, als auch mit einem Glaubenskonstrukt verbandelt das irgendwo zwischen Freikirchen und Zeugen Jehovahs stand und das sie potentiellen Enkeln sicher einzuimpfen versuchen würde?

[Masamune]

Die Augen der Mutter weiteten sich, als die Erkenntnis sie traf. Offensichtlich wollte sie etwas sagen, aber Masamune hob beschwichtigend die Hand. Der Austausch von Blicken sprach Bände. 'Wie kannst du so jemanden einladen?', 'Ich bin alt genug das zu entscheiden.' oder "Dies ist mein Haus. Hier entscheide ich.' gefolgt von 'Ich hatte mir eine andere Schwiegertochter gewünscht'. In den Sekunden war alles dabei, aber Nichts, was für Hifumi sprach. Letztlich erhob sich seine Mutter.

"Ich entschuldige mich. Ich beginne mit dem Abwasch." Da war sie auch schon weg.

"Meine Mutter ist... konservativ was den Glauben anbelangt. Vor Allem, wenn er von Sekten ausgeht, deren Grüder Gewalt gegen Andersgläubige propangierte."

Der Samurai wartete geduldig und gespannt, wie Hifumi reagierte.

[Hifumi]

Die abweisende schroffe Reaktion der Mutter registriert Hifumi mit leicht geweiteten Augen, aber ohne einen Versuch zu intervenieren. Es war wohl zumindest dieses Mal besser, sich nicht aufzudrängen oder anzubiedern.

"Deine Mutter nimmt dann einiges über mich und meinen Glauben an, ohne mich näher zu kennen. Ich bin als Gast hier, nicht um Köpfe abzuschlagen. Was mir ohnehin schwer fiele, selbst wenn ich es wollen würde."

Die zierliche Japanerin präsentiert ihre dünnen Arme und weichen Hände, ersichtlich ungeeignet um ein Schwert zu führen.

"Ich würde deiner Mutter gern zur Hand gehen, aber ich denke sie würde meine Hilfe und Nähe nicht haben wollen, zumindest dieses Mal noch nicht.
Sollen wir erst einmal zum Probetraining übergehen, für das ich gekommen bin, und wir schauen dann, ob sie mit dem zeitlichen Abstand eher bereit ist mich noch einmal wiederzusehen?"

[Masamune]

"Es geht nicht explizit um dich, sondern um deinen Glauben. Dessen Bereitschaft Fackel und Waffe gegen Andersgläubige auszuführen, magst du nicht aktiv unterstützen... aber durch das Ausleben deines Glaubens gibst du deiner Sekte die Kraft und Erlaubnis es zu tun. Mutter ist stark im Zen verankert, aber sie fürchtet sich. Nicht vor direkt, jedoch vor Nichiren. Bitte interpretiere ihr Verhalten nicht als Unhöflichkeit dir gegenüber."

Masamune teilte diese Angst nicht - oder zeigte sie zumindest nicht offen. Stattdessen nickte er zu der letzten Frage und deutete nochmals auf die Umkleide.

"Wir sprechen gleich weiter."

Nachdem Hifumi fertig war sich umzuziehen und heraus kam konnte sie sehen, dass auch Masamune sich umgezogen hatte. Sein Gi war schwarz, wie der Gürtel und der Hakama. Schlicht und für das Training angepasst. Er lächelte etwas und wendete sich dann dem Trainingsbereich zu. Vor der höher liegenden Matte blieb er stehen. Masamune verbeugte sich tief in Richtung eines Bildes auf der gegenüberliegenden Seite. Der Mann darauf sah aus, wie Hifumis Trainer, nur etwas Älter, wenngleich auch nicht viel. Vor dem Bild stand ein Katana mit dem dazu passenden Wakizashi auf einem Ständer. Zur rechten waren Spiegel an der Wand angebracht.

Erst nach dieser Verbeugung trat er auf die Matte und setzte sich vor das Bild im Kniesitz, mit dem Gesicht in Richtung seiner heutigen Schülerin.

[Hifumi]

"Es ist auch das Haus deiner Mutter. Ich halte es nicht gegen sie, wenn sie mir lieber aus dem Weg gehen will, zumal sie das auch sehr gesichtswahrend mir gegenüber getan hat."

Hifumi blickt auf ihre Sporttasche voller Pamphlete.

"Ich denke, ich nehme mein Rekrutierungsmaterial erst einmal wieder mit. Ich will deiner Mutter keinen Kummer bereiten, oder Streit in dein Haus tragen. Ich komme vielleicht eines anderes Mal darauf zurück, nachdem sie mich besser kennengelernt und hoffentlich ein besseres Bild von mir hat."

Die junge Japanerin begibt sich in die Umkleide und kehrt kurz danach wieder zurück.
Sie hat tatsächlich einen ordentlichen gebrauchten Judo-Gi auftreiben können, von jemandem der den Sport mal ausprobiert und danach wieder aufgegeben hatte, sogar mit dem passenden weißen Gürtel. Es war ein Gi in Kindergröße, wodurch er an den Hosenbeinen und Ärmeln etwas kurz war, aber ansonsten saß er locker am zierlichen Leib Hifumis.

Auf dem Weg zur Matte macht sie bemerkenswert kleine Schritte. Die sehr konservativ aufgezogene junge Frau war es nur gewohnt Röcke zu tragen, und darauf zu achten die Beine nicht zu sehr zu spreizen um unziemliche Anblicke zu verhindern. Das wäre eine von vielen schlechten Gewohnheiten, die sie loswerden müsste, wenn sie es über den weißen Gurt hinaus bringen wollte.

Auf der Matte selbst macht sie Masamune die Verbeugung zum seligen Sensei nach, und den Kniesitz. Instinktiv streicht sie sich über die Oberschenkel, wie sicherzustellen dass ihr nicht vorhandener Rocksaum nicht zu hoch saß.

[Masamune]

Wegen des späteren Auslegens der Flyer bekam Hifumi ein Lächelns geschenkt, gepaart mit einem Nicken. Aber dann schien Masamune sich auf das training konzentrieren zu wollen.

"Mokuso" Masamune schloss die Augen und atmete tief durch. Nach einigen Sekunden öffneten sich diese wieder. "Yame... ... rei." Und damit verbeugte er sich aus dem Seiza vor Hifumi. Die Handflächen zeigten nach unten und die Stirn berührte die Matte nicht.

Anschließend erhob er sich.

"Wir fangen an mit Aufwärmen und Dehnen."

Ersteres bestand vor Allem aus dem Laufen im Kreis, wobei Masamune dies mit Drehungen und Richtungswechseln kombinierte. Dann folgten Dehnungsübungen, angefangen bei den großen Muskeln, bis hin zu den Knöcheln, Zehen, Handgelenken und Fingern. Den Abschluss des Aufwärmens bildete eine Atemübung. Jeder Atemzug und jedes Ausatmen wurden von einer runden, durchgehenden Bewegung der Hände begleitet.

"Stell dir vor, wie du deine Kraft beim Ausatmen nach unten richtest... und beim Einatmen nach oben schiebst."