[24-08] License, registration, I ain't got none... [Hifumi, Le Guin]
Verfasst: So 4. Aug 2024, 10:27
Untermalung (YouTube-Link)
Mittagszeit, Downtown Seattle, irgendwo zwischen Spring Street und Cherry Street.
“One pork, one vegan cheese, one chicken but without tomato…”, murmelt Le Guin, während er die Tacos einwickelt. Schräg hinter ihm ist Liza an der Grillstation dabei, fettiges Fleisch in Tacos zu füllen und die Fries einmal durch zu schütteln. Beidhändig, ohne eine Pause. Le Guin schiebt die jüngste Bestellung über den Tresen und kassiert ein paar Dollarscheine, der nächste Kunde will schon etwas.
Le Guin streicht die Dollars ein, kaum Trinkgeld, aber bei Tacos sind die Yuppies geizig. Sein Namensschild sagt “Pepe”, ist von irgendeinem Vorgänger geerbt, der irgendwann einfach nicht mehr wiederkam. Wie die meisten, die hier arbeiten. Die Arbeit ist schwarz, Fünf-Dollar-die-Stunde-plus-Trinkgeld, wird am Ende jedes Tages ausgezahlt, wenn der Boss kommt, den Wagen abschließt und wegfährt.
Pepe-Le-Guin flatscht mit Schwung Saucen und künstlichen Käse auf die Tacos, die Liza ihm frisch herüber schiebt, wickelt, stopft dünne Papierservietten und Tacos zusammen in Papiertüten - die sind neu, weil Downtown Seattle jetzt mehr Eco und Green sein will.
Er bemerkt zu spät, dass ein Polizeiauto und ein dunkler SUV direkt am Taco-Wagen gehalten haben. Der Officer ist schon ausgestiegen - meist wollen die Tacos für die ganze Runde Kollegen im Dienst. Le Guin schaltet zu spät, weil er nicht weiß, worauf er achten muss. Der Polizist ist im Dienst, geht nicht nach vorn sondern nach hinten, klopft an. Ein weiterer steht beim Wagen, aus dem SUV sind zwei Leute ohne Uniformen ausgestiegen, ein Mann, eine Frau. Die Yuppies wirken plötzlich sauer, sehen ihre Bestellung in die Binsen gehen. Der schlaksige ITler, der gerade eben was mit Guacamole bestellt hat, verdrückt sich einfach - das ist, woran Le Guin merkt, dass etwas nicht stimmt.
“Liza, policia”, sagt er leise nach hinten, aber Liza hat das früher bemerkt als er, hat den Kittel schon halb ausgezogen und ist zur Tür. Der anderen, an der nicht gerade der Polizist bereits klopft.
Le Guin sieht ihr zu, will die Grillstation runterstellen, will die Tür öffnen, will die nächste Bestellung aufnehmen, will seinen Rucksack mit seinen Klamotten schnappen und Liza hinterher.
Er macht die Tür auf, bevor der Polizist das nächste mal klopft, gerade als Liza durch die andere Tür verschwindet. Ziemlich schnell für ihr Alter und ein paar Tacos zu viel auf den Hüften.
“Polizei Seattle, fürs Office of Immigrant and Refugee Affairs”, rattert der Mann herunter und sieht schon an Le Guin vorbei in den Wagen hinein.
“Hi”, sagt Le Guin. Er erinnert sich vage daran, dass Liza und Meriho ihm mal geraten haben, sich im Zweifel dumm zu stellen. Und wie jemand, der kein Englisch kann. Es kommt ihm dumm vor, weil er sich nicht erinnert, ob er eine andere Sprache kann, und weil er mit den Kunden, zu denen oft genug auch Polizisten gehören, normal spricht. Die beiden hier kommen ihm vage bekannt vor, einer etwas älter mit kurzrasierter Glatze, der andere jünger, mit einem rötlichen Bart. Der vor ihm ist der Ältere und wirkt halb resigniert. Der jüngere hat wahrscheinlich schon gesehen, dass Liza abgehauen ist.
“Der Boss ist nicht da”, sagt er darum. “Der hat alle Papiere und die Schlüssel.”
“Dann gib ihm mal bescheid”, meint der Polizist, während sein Kollege nun auch langsam herüber kommt. Le Guin dämmert, dass der Arbeitstag gelaufen ist. Er sagt nicht “Äh” und stottert auch nicht, weil er das noch nie getan hat. Aber er weiß nicht, was er machen soll, also weicht er zurück und stellt jetzt doch die Grillstation aus. Die Fries wurden schon dunkel.
Er kann den Boss nicht anrufen, weil Liza das alte Smartphone in der Tasche hat, mit dem das geht. Sie hatte es zuletzt benutzt, um in ihrer Raucherpause Candy Crush zu spielen. Vielleicht ist doch keine so schlechte Idee, so zu tun als könnte er kein Englisch? Aber das ist zu spät.
Der Boss wird eh nicht kommen. Eher den gesamten Taco-Wagen abschreiben, untertauchen und dann neu aufmachen. Le Guin versucht angestrengt, kein Englisch zu sprechen, als er antwortet: “Босс не придет. Он мудак.” Der Boss wird nicht kommen. Er ist ein Arschloch. Das ist wahr und alles andere als höflich gegenüber dem Boss, aber Le Guin ist in dem Augenblick ebenso verwirrt über seine Fähigkeit, nicht Englisch zu sprechen, wie der Polizist.
Beide starren einander einen Augenblick lang perplex an, dann knallt Le Guin die Tür einfach zu, dreht sich herum, schnappt den Rucksack und rennt zur anderen.
Tür auf, beinahe direkt vor die Brust des jüngeren Polizisten, der sich wohl nicht ohne Grund dort aufgestellt hat. Le Guin fällt die klapprige Metalltreppe halb herunter, rudert mit den Armen. “Bleib stehen!”, ruf der ältere, bereits auf dem Weg um den Wagen herum. So weit ist das nicht. Le Guin stolpert, reißt sich los, lässt seinen Rucksack und die Pepe-Schürze in den Händen des jüngeren Polizisten zurück. Er rennt so gut ihn seine langen Beine tragen. Autoreifen quietschen, er will keine Leute anrempeln, alles hier ist voll mit Büroleuten auf der Suche nach ihrem Mittagessen, kahlen Hochhauswänden, hübsch gepflanzten Bäumen. Der Polizist direkt hinter ihm, einfach aus Reflex.
Le Guin schlägt einen Haken in eine Seitenstraße, in der sich die Müllcontainer der Geschäfte und des Hotels aufreihen, die nach vorne zur Fronstraße hin glänzen. Hier hinten stinkt es nach Müll, den abgestandenen Abgasen einer Tiefgarage. Man kann hier nirgendwohin, also rennt Le Guin so schnell er kann, wechselt in die eine Tiefgarage hinein. Da kennt er sich aus, hier benutzen Liza und er sonst die Toilette, die eigentlich für Security und Putzpersonal da ist. Er schlägt weitere Haken um geparkte Autos herum, will zum anderen Ausgang.
Le Guin rennt weiter bis er nicht mehr kann. Wieder auf der Hauptstraße fängt er sich alarmierte Blicke ein und wird dann langsamer. Wohin? Er hat keine Ahnung. Der Polizist ist nicht zu sehen, hatte vielleicht nicht dasselbe Adrenalin im Blut, hat aber dafür Le Guins Rucksack mit den Klamotten und allem Geld, das er besessen hatte.
Le Guin überschlägt im Kopf, was das bedeutet. Jacke weg, Sweatshirt, zwanzig Dollar. Die Schlüssel für seine Wohnung, Deo, eine Zahnbürste, der Rucksack selbst. Nicht viel, aber alles, was er hatte.
Er ist gewohnt, gar nichts zu haben, also ist es nicht so schlimm. Gleichzeitig ist er nicht gewohnt, ständig etwas zu brauchen, also ist es doch schlimm. Mit langen Schritten geht er weiter ohne zu wissen, wohin.
Eigentlich weiß er es doch, denn er hat nicht viele Orte oder Bekannte. Hifumis Angebot war das einzige, das er kannte. Er zog sein Smartphone aus der Tasche und schrieb ihr im Gehen:
“Polizei. Kann ich bei dir untertauchen?”
Mittagszeit, Downtown Seattle, irgendwo zwischen Spring Street und Cherry Street.
“One pork, one vegan cheese, one chicken but without tomato…”, murmelt Le Guin, während er die Tacos einwickelt. Schräg hinter ihm ist Liza an der Grillstation dabei, fettiges Fleisch in Tacos zu füllen und die Fries einmal durch zu schütteln. Beidhändig, ohne eine Pause. Le Guin schiebt die jüngste Bestellung über den Tresen und kassiert ein paar Dollarscheine, der nächste Kunde will schon etwas.
Le Guin streicht die Dollars ein, kaum Trinkgeld, aber bei Tacos sind die Yuppies geizig. Sein Namensschild sagt “Pepe”, ist von irgendeinem Vorgänger geerbt, der irgendwann einfach nicht mehr wiederkam. Wie die meisten, die hier arbeiten. Die Arbeit ist schwarz, Fünf-Dollar-die-Stunde-plus-Trinkgeld, wird am Ende jedes Tages ausgezahlt, wenn der Boss kommt, den Wagen abschließt und wegfährt.
Pepe-Le-Guin flatscht mit Schwung Saucen und künstlichen Käse auf die Tacos, die Liza ihm frisch herüber schiebt, wickelt, stopft dünne Papierservietten und Tacos zusammen in Papiertüten - die sind neu, weil Downtown Seattle jetzt mehr Eco und Green sein will.
Er bemerkt zu spät, dass ein Polizeiauto und ein dunkler SUV direkt am Taco-Wagen gehalten haben. Der Officer ist schon ausgestiegen - meist wollen die Tacos für die ganze Runde Kollegen im Dienst. Le Guin schaltet zu spät, weil er nicht weiß, worauf er achten muss. Der Polizist ist im Dienst, geht nicht nach vorn sondern nach hinten, klopft an. Ein weiterer steht beim Wagen, aus dem SUV sind zwei Leute ohne Uniformen ausgestiegen, ein Mann, eine Frau. Die Yuppies wirken plötzlich sauer, sehen ihre Bestellung in die Binsen gehen. Der schlaksige ITler, der gerade eben was mit Guacamole bestellt hat, verdrückt sich einfach - das ist, woran Le Guin merkt, dass etwas nicht stimmt.
“Liza, policia”, sagt er leise nach hinten, aber Liza hat das früher bemerkt als er, hat den Kittel schon halb ausgezogen und ist zur Tür. Der anderen, an der nicht gerade der Polizist bereits klopft.
Le Guin sieht ihr zu, will die Grillstation runterstellen, will die Tür öffnen, will die nächste Bestellung aufnehmen, will seinen Rucksack mit seinen Klamotten schnappen und Liza hinterher.
Er macht die Tür auf, bevor der Polizist das nächste mal klopft, gerade als Liza durch die andere Tür verschwindet. Ziemlich schnell für ihr Alter und ein paar Tacos zu viel auf den Hüften.
“Polizei Seattle, fürs Office of Immigrant and Refugee Affairs”, rattert der Mann herunter und sieht schon an Le Guin vorbei in den Wagen hinein.
“Hi”, sagt Le Guin. Er erinnert sich vage daran, dass Liza und Meriho ihm mal geraten haben, sich im Zweifel dumm zu stellen. Und wie jemand, der kein Englisch kann. Es kommt ihm dumm vor, weil er sich nicht erinnert, ob er eine andere Sprache kann, und weil er mit den Kunden, zu denen oft genug auch Polizisten gehören, normal spricht. Die beiden hier kommen ihm vage bekannt vor, einer etwas älter mit kurzrasierter Glatze, der andere jünger, mit einem rötlichen Bart. Der vor ihm ist der Ältere und wirkt halb resigniert. Der jüngere hat wahrscheinlich schon gesehen, dass Liza abgehauen ist.
“Der Boss ist nicht da”, sagt er darum. “Der hat alle Papiere und die Schlüssel.”
“Dann gib ihm mal bescheid”, meint der Polizist, während sein Kollege nun auch langsam herüber kommt. Le Guin dämmert, dass der Arbeitstag gelaufen ist. Er sagt nicht “Äh” und stottert auch nicht, weil er das noch nie getan hat. Aber er weiß nicht, was er machen soll, also weicht er zurück und stellt jetzt doch die Grillstation aus. Die Fries wurden schon dunkel.
Er kann den Boss nicht anrufen, weil Liza das alte Smartphone in der Tasche hat, mit dem das geht. Sie hatte es zuletzt benutzt, um in ihrer Raucherpause Candy Crush zu spielen. Vielleicht ist doch keine so schlechte Idee, so zu tun als könnte er kein Englisch? Aber das ist zu spät.
Der Boss wird eh nicht kommen. Eher den gesamten Taco-Wagen abschreiben, untertauchen und dann neu aufmachen. Le Guin versucht angestrengt, kein Englisch zu sprechen, als er antwortet: “Босс не придет. Он мудак.” Der Boss wird nicht kommen. Er ist ein Arschloch. Das ist wahr und alles andere als höflich gegenüber dem Boss, aber Le Guin ist in dem Augenblick ebenso verwirrt über seine Fähigkeit, nicht Englisch zu sprechen, wie der Polizist.
Beide starren einander einen Augenblick lang perplex an, dann knallt Le Guin die Tür einfach zu, dreht sich herum, schnappt den Rucksack und rennt zur anderen.
Tür auf, beinahe direkt vor die Brust des jüngeren Polizisten, der sich wohl nicht ohne Grund dort aufgestellt hat. Le Guin fällt die klapprige Metalltreppe halb herunter, rudert mit den Armen. “Bleib stehen!”, ruf der ältere, bereits auf dem Weg um den Wagen herum. So weit ist das nicht. Le Guin stolpert, reißt sich los, lässt seinen Rucksack und die Pepe-Schürze in den Händen des jüngeren Polizisten zurück. Er rennt so gut ihn seine langen Beine tragen. Autoreifen quietschen, er will keine Leute anrempeln, alles hier ist voll mit Büroleuten auf der Suche nach ihrem Mittagessen, kahlen Hochhauswänden, hübsch gepflanzten Bäumen. Der Polizist direkt hinter ihm, einfach aus Reflex.
Le Guin schlägt einen Haken in eine Seitenstraße, in der sich die Müllcontainer der Geschäfte und des Hotels aufreihen, die nach vorne zur Fronstraße hin glänzen. Hier hinten stinkt es nach Müll, den abgestandenen Abgasen einer Tiefgarage. Man kann hier nirgendwohin, also rennt Le Guin so schnell er kann, wechselt in die eine Tiefgarage hinein. Da kennt er sich aus, hier benutzen Liza und er sonst die Toilette, die eigentlich für Security und Putzpersonal da ist. Er schlägt weitere Haken um geparkte Autos herum, will zum anderen Ausgang.
Le Guin rennt weiter bis er nicht mehr kann. Wieder auf der Hauptstraße fängt er sich alarmierte Blicke ein und wird dann langsamer. Wohin? Er hat keine Ahnung. Der Polizist ist nicht zu sehen, hatte vielleicht nicht dasselbe Adrenalin im Blut, hat aber dafür Le Guins Rucksack mit den Klamotten und allem Geld, das er besessen hatte.
Le Guin überschlägt im Kopf, was das bedeutet. Jacke weg, Sweatshirt, zwanzig Dollar. Die Schlüssel für seine Wohnung, Deo, eine Zahnbürste, der Rucksack selbst. Nicht viel, aber alles, was er hatte.
Er ist gewohnt, gar nichts zu haben, also ist es nicht so schlimm. Gleichzeitig ist er nicht gewohnt, ständig etwas zu brauchen, also ist es doch schlimm. Mit langen Schritten geht er weiter ohne zu wissen, wohin.
Eigentlich weiß er es doch, denn er hat nicht viele Orte oder Bekannte. Hifumis Angebot war das einzige, das er kannte. Er zog sein Smartphone aus der Tasche und schrieb ihr im Gehen:
“Polizei. Kann ich bei dir untertauchen?”