[24-08] License, registration, I ain't got none... [Hifumi, Le Guin]

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Le Guin
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Re: [24-08] License, registration, I ain't got none... [Hifumi, Le Guin]

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Lizas oder Le Guins "Wohnung" entpuppt sich als ein "Studentenappartment", das in einem ziemlich herunter gekommenen Gebäude liegt. Wahrscheinlich hat das gesamte Gebäude schon länger keine echten Studierenden mehr gesehen. Im Erdgeschoss liegen ein paar Junkies auf ausgeleierten Couches in Wohnungen ohne Tür. Es stinkt nach Müll, nach ungewaschenen Körpern, verbrannten Haaren, nach Meth, Erbrochenem und Urin und Pizza, die in einer Ecke vor sich hin schimmelt.
Die Wohnungen im Stockwerk darüber haben dafür Türen aus Metall, die trotzdem einige Beulen und Kratzer haben als hätte jemand mehr als einmal versucht, sie von außen einzutreten. Musik wummert von irgendwoher, dem Klang nach aus einer Anlage, die teurer und damit kraftvoller ist als als die Inhalte sämtlicher Wohnungen, in die man hier bislang hineingucken konnte. Weit teurer.
Der Fahrstuhl ist ein leerer und ungesicherter Fahrstuhlschacht, die tatsächliche Fahrstuhlkabine ist im vierten Stock - hier wohnt Liza wohl - steckengeblieben, mit aufgerissener Tür und einem rostigen Einkaufswagen, der diese irgendwann einmal blockiert hat und jetzt so vollgestopft ist mit Müllsäcken und Gerümpel, dass er zusammengebrochen ist und irgendwie ein Teil des größeren Berges aus Müll, alten Möbeln, weggeworfenen und offenkundig dreckigen Klamotten geworden ist, der die Fahrstuhlkabine füllt. Skurrilerweise ist die Beleuchtung dieser Fahrstuhlkabine die einzige, die im gesamten Treppenhaus überhaupt zu funktionieren scheint.
Liza wirkt für diese Gegend definitiv zu sauber, selbst in ihren Second-Hand-Klamotten. Die Schwestern wirken wahrscheinlich wie Wesen aus einer anderen, farbenvolleren Welt, in der es noch Dinge wie Hoffnung oder Zukunft gibt.

Mit der Schulter, etwas Kraftaufwand und einem kräftigen Stoß öffnet Liza die Tür ihrer Wohnung. Das Schloss der Tür wirkt neuer als die Tür selbst, der Schlüssel aus Lizas Hosentasche tatsächlich wie gestern im Walmart erstanden. Die Wohnung besteht aus einem Zimmer mit einer Kochecke, die gefliest ist, aber keinen Herd hat, nur eine uralte Mikrowelle und einen Kühlschrank ohne Strom oder Fronttür, so dass er einfach nur als Aufbewahrungsort für einen kleinen Stapel Instant-Ramen und eine angebrochene Packung Taco-Fladen ohne alles dient.

Es gibt ein Bad in dem Nasszelle und Toilette eine Einheit bilden, ebenfalls ohne Tür, aber immerhin mit einem Vorhang und einem früher einmal weißen und heute eher gelbstichigen Plastikwandschränkchen mit einem sehr wilden Sammelsurium an Hygieneartikeln darin. Es sieht aus als hätte jemand einfach wahllos alle möglichen Dinge aus der Toiletry- and Cosmetics-Abteilung im Supermarkt mitgenommen, angebrochen, ausprobiert und dann direkt das nächste angebrochen. Zahnpastatuben, Haargels, Deos, Lotions, Shampoos, Rasierschäume, Haarfärbesachen, Zahnweißer, Hautbräuner, Nagellacke, Schminkartikel, Herren-Nassrasierer, Damenrasierer, Parfums, Raumsprays, Haarsprays, Cremes gegen Sommersprossen, Cremes für Sommersprossen und natürliche Looks, Augenbrauen-Kämme, eine Neonrosa Kinderhaarbürste und vieles mehr ohne auch nur den Hauch von Ordnung oder Sinn oder auch nur Ahnung.

Das "Wohnzimmer" besteht aus einer Art Schlafsack und Campingschrank mit einer merkwürdig und fremdartig sauberen Sammlung gefalteter Kleidungsstücke als würde dieser Campingschrank diese ausspucken wie ein Automat. Ein paar umgedrehte Pappkartons und Styropor-Taco-Lieferkisten bilden eine Art Sitzarrangement ohne Stühle, aber mit ein paar Handtüchern und bunten Matten als Sitzkissen oder wenigstens -plätzen.

Über all diese Dinge verteilt, über den Boden, die Wände, die Decke, den Badezimmerspiegel, die Küchenfliesen, die schmutzige Fensterfront hinweg steht Geschriebenes. Manchmal sind dies handgeschriebene Zeilen auf Papier, das dort angeklebt wurde. Aber scheinbar gingen dem AUtor irgendwann die Papiervorräte aus und dann ging es eben auf der Wand weiter. Mit Kugelschreiber, der offenbar auch ausging, mit Bleistiften, deren traurige Reste ebenso ausgingen, mit (womöglich bei Hifumis und Le Guins letztem Aufeinandertreffen mitgenommenen) Buntstiften, die ebenfalls bis auf kurze Stummel heruntergeschrieben wurden. An einer Stelle wurde einfach mit einem Messer in der Tapete weitergeschrieben. An anderen Stellen ist die Tinte dunkelbraun und heller rötlich verschmiert.

Liza schert sich um so gut wie gar nichts in diesem Höllenloch. Sie steuert auf den Campingschrank zu, den sie zusammenfaltet und -drückt, so dass er eine Art Tragetasche mit (hoffentlich) Kleidung als Inhalt wird. Sie kämpft mit dem Schlafsack. "Ich sollte die Wände abbrennen", murmelt sie währenddessen. "Bevor sich jemand daran verletzt."
"Ich bin ein alter Mann und habe viel Schreckliches erlebt. Aber das meiste ist nie passiert.“ --Mark Twain

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Hifumi
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Re: [24-08] License, registration, I ain't got none... [Hifumi, Le Guin]

Beitrag von Hifumi »

Den behüteten Betschwestern ist in der Gegend ersichtlich unwohl, und ohne Hifumis entschlossenes Auftreten und Abweisen von Versuchen, sie anzusprechen, hätten sie wahrscheinlich längst kehrt gemacht. Sie bedeutet den beiden, vor der Wohnungstür zu warten - es ginge um sehr persönliche Eigentümer.

Während 'Liza' sich um den Campingschrank und den Schlafsack kümmert, schnappt Hifumi sich zwei der umgedrehten Kartons und beginnt, die Körperpflegeprodukte zu sortieren: Als weiblich lesbare Produkte, die sie mitnehmen würde, und zu männliche die zurückbleiben mussten und die ihre Mitschwestern nie zu Gesicht bekommen durften.

Sie kommt mit den Damenkosmetika - mit der neonrosa Bürste als Blickfang ganz oben - um die Ecke, als 'Liza' vor sich hinmurmelt.

"Verletzen? Sind die Schriften etwa... gefährlich?"

Leise vor sich hinchantend dehnt die junge Japanerin ihre Sinne aus, betastet astral die Wände und Papiere, versucht zu erahnen ob und was für Macht in den beschriebenen Wänden steckt. [1]
Unter Zuhilfenahme der Muster betrachtet sie das Geschreibsel und versucht, Muster und Sinn darin zu erkennen, ihr Blick durch jahrelanges Sutrastudium darin geschult, auch in scheinbar sinnlosem esoterischen Geschwurbel zwischen den Zeilen und im Muster des großen ganzen Botschaften zu entschlüsseln. [2]

[1] Kern 1 + Korrespondenz 1 (+WK) SG4: 3 Erfolge Link

[2] Intelligenz + Enigma (SG-3 = 3 wegen Magick Enhancing Abilities (p.533): 7 Erfolge Link
"Auf jeden Winter wird unweigerlich ein Frühling folgen."
- Nichiren

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Le Guin
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Re: [24-08] License, registration, I ain't got none... [Hifumi, Le Guin]

Beitrag von Le Guin »

"Vermutlich schon, für Schläfer", meinte Liza und zurrte und ruckte an der Verschnürung des Schlafsacks, damit dieser sich möglichst eng zusammenrollen ließ.
"Bei den Junkies ist es nicht so schlimm. Die meisten davon schlafen nicht mehr. Sie sind entweder dabei, zu erwachen, oder dabei, zu sterben. Oder beides, wie Motten."

Die Texte hatten keine feste Ordnung. Einige konnte man zueinander zählen, weil sie mit demselben Stift auf dieselbe Weise geschrieben worden waren. Aber sie flossen ineinander. Ein paar lasen sich wie Schreibübungen, wie Anfänge von vielleicht philosophischen Versuchen oder wie Fragen ohne dass es tatsächlich ein Fragezeichen gab:
Es ist die Textur der Realität, die man fühlen kann, wenn die Nacht so still wird, dass man die Atemzüge des Universums hören könnte – jene zitternde Haut aus Dunkelheit, die über der Welt gespannt ist. Es knistert, so wie Papier knistert, das zu lange in der Sonne lag, mürbe und brüchig, als könne jeder Augenblick es zerreißen.

Man könnte schwören, dass die Wände atmen. Nicht das mechanische Atmen einer Maschine, sondern etwas Urwüchsiges, etwas Tiefes, das unter der bloßen Oberfläche lauert, wie ein fremdes Herz, das in deinen Knochen schlägt. Die Luft vibriert, dicht wie feuchte Seide, als ob der Raum selbst eine Hülle wäre, ein Kokon, aus dem die Wirklichkeit nur darauf wartet, herauszubrechen – oder sich aufzulösen.

Es ist in diesen stillen, dunstigen Momenten, wenn das Licht sich in schmutzige Streifen zerschneidet und die Schatten ihre Form verlieren, dass die Grenzen von dem, was ist, und dem, was nicht ist, beginnen zu zerfließen. Die Textur der Realität wird weich, fast nachgiebig, wie nasses Leder, das unter deinen Fingern knirscht und nachgibt, sich verändert, je länger du es berührst.

Vielleicht war die Welt nie wirklich fest. Vielleicht ist sie ein Traum, der sich selbst zu träumen wagt. Jeder Blick, jede Berührung fügt Schichten hinzu, webt dichte Fäden durch das Fleisch des Möglichen, bis du das Gefühl hast, dass alles, was du je als echt geglaubt hast, nicht mehr ist als die verzerrte Reflexion einer anderen, tieferen Wahrheit.

Dann spürst du es – das Zucken, kaum mehr als ein Zittern an der Kante deines Bewusstseins, wie das Flimmern einer Flamme im Wind. Du erkennst, dass die Textur der Realität keine feste Barriere ist, sondern etwas Lebendiges, etwas Organisches, das sich in deinen Gedanken ausdehnt und verformt, das immerzu formt und geformt wird. Es ist ein Tanz aus Licht und Schatten, aus Lügen und Wahrheiten, die wie Seidenspinnfäden umeinander gleiten, sich verflechten und sich wieder lösen.

Aber in dieser Bewegung, in diesem ständigen Wandel, liegt etwas Beständiges. Nicht die Realität selbst, sondern das Gefühl, dass hinter ihr eine Stille lauert, eine Stille, die so tief ist, dass sie alles verschlingt. Sie ist das pulsierende Herz unter der dünnen Haut der Dinge, ein Herz, das schlägt, während du schläfst, das schlägt, während du wachst – ein Herz, das schlägt, weil es weiß, dass die Welt aus mehr besteht als dem, was du sehen kannst.

Und in dieser Stille, wenn du lange genug lauschst, wirst du verstehen, dass die Textur der Realität nichts weiter ist als der fragile Schleier zwischen dem, was du bist, und dem, was du sein könntest.
Ein paar wie Berichte und Beobachtungen. Mindestens eines hätte auch gut ein Google-Review für einen Taco-Stand sein können. Andere klangen wie wissenschaftliche Fachartikel, die sich mit thermischer Energie beschäftigten. Dann wieder gab es eine Art Kommentar über genau diese Fachartikel:
Es beginnt immer mit Wärme. Ein Zucken unter der Haut der Welt, ein leises Zittern, das sich mit der Zeit aufbaut, bis es in die Knochen dringt. Alles, was ist – alles, was je war – pulsiert mit dieser unsichtbaren Kraft, wie ein heimlicher Atem, der sich in die Fugen der Materie schleicht. Wärme ist kein bloßer Zustand, sondern eine Bewegung, eine verzweifelte Tanzfigur der Moleküle, die nicht wissen, ob sie einander anziehen oder abstoßen sollen.

Fühle es. Fühle das Knistern der Luft, wenn du deine Hand über die Oberfläche von etwas Heißem hältst. Es ist mehr als Hitze, es ist die Essenz von Veränderung selbst. Ein Murren, tief in den Eingeweiden der Existenz. Alles, was lebt, alles, was stirbt, alles, was zwischen den Zuständen verweilt, trägt diesen unsichtbaren Funken in sich. Die thermische Energie – jene unablässige Bewegung – drängt, windet sich, als wäre sie die Seele der Welt, gefangen in einem ewigen Tanz.

Man könnte meinen, dass Wärme nur eine Reaktion ist, ein Nebenprodukt des Seins, doch sie ist mehr. Sie ist die Erinnerung an den Anfang, an jene ersten Sekunden nach dem Aufblitzen des Lichts, als das Universum selbst begann, in sich zu rollen, zu schwellen, zu schwitzen vor Energie. Jeder Tropfen Schweiß auf deiner Stirn, jedes Flimmern von Hitze über dem Asphalt, ist ein Echo jenes Urknalls, jener anfänglichen Raserei, als alles in einen fieberhaften Traum von Expansion überging.

Berühre einen Stein, der in der Sonne lag. Du spürst es, oder? Diese tiefe, stille Glut, die durch das Gestein sickert, als würde der Stein die Erinnerung an das Licht speichern, das ihn berührt hat. Die Wärme ist nicht nur dort, sie lebt darin, sie verändert den Stein, dehnt ihn, bringt ihn an den Rand eines Werdens, das du nicht sehen kannst. Thermische Energie ist nicht nur Hitze – es ist das Potenzial, das in jeder Zelle, in jedem Atom lauert, das ständige Flüstern von Entropie, das alles in Richtung eines unausweichlichen Zerfalls zieht.

Doch dieser Zerfall ist keine Zerstörung, sondern Transformation. Die thermische Energie wandelt alles um – nichts bleibt jemals wirklich still. Wärme verteilt sich, fließt wie ein unsichtbarer Fluss, sucht die Kühle, gleicht aus, was ungleich ist. Und in diesem ständigen Streben nach Ausgleich verbirgt sich ein Geheimnis: die Energie will immer fort, aber sie verschwindet nie wirklich. Sie hinterlässt Spuren, Abdrücke, wie Finger, die sanft über Glas gleiten und Spuren des Atems zurücklassen.

In diesem Spiel der Energie und Entropie gibt es keine Ruhe. Alles ist Bewegung, alles ist Wechsel, als ob die Moleküle selbst wüssten, dass Stillstand nur eine Illusion ist, eine Lüge, die wir uns erzählen, um den wahren Puls der Welt nicht zu fühlen. Dieser Puls ist die Hitze des Lebens, die Glut des Verfalls, die feine Linie zwischen dem Jetzt und dem Unausweichlichen.

Denn in der Wärme verbirgt sich auch das Ende. Alles erlischt, alles kühlt ab. Doch die Energie bleibt. Sie strömt durch die Zeit, ein ruheloses, unsichtbares Feuer, das selbst in der Kälte des Weltalls einen Funken bewahrt. Ein Funken, der immer neu entfacht werden kann, der die Geschichte der Materie erzählt – und vielleicht sogar das Schicksal von allem, was ist.

Und du spürst es. Jetzt, in diesem Moment, wenn die Luft schwer auf deiner Haut liegt und die Sonne tief am Horizont hängt, spürst du die thermische Energie, die dich umgibt, durchdringt, als wäre sie mehr als nur eine physikalische Kraft. Sie ist das Rauschen der Welt, das Flüstern von etwas, das nicht zur Ruhe kommen kann. Ein unendlicher Tanz aus Licht und Dunkelheit, Wärme und Kälte, Leben und Tod.
Der Eindruck, den Hifumi bekommen konnte, war ein höchst intimer. Intimer noch als durch die Badezimmerartikel von Liza zu wühlen oder sie dabei zu beobachten, wie sie lächerlich wenige Habseligkeiten zu einem Bündel zusammenband. Es war so als würde sie Liza oder Le Guin oder einfach diesen Menschen vor Hifumi nackt betrachten und vielleicht noch eine Spur intimer. Wenn eine Seele bloßliegen konnte, dann sah sie so aus. Nur, dass diese Seele nicht harmlos schlummerte sondern wach und wacher wurde. Dies war ein Erwachen, irgendwie schriftlich festgehalten. Eine Momentaufnahme, aufgebrochene Eierschalen, die im Schatten der Kreatur herumlagen, die längst dabei war, ihre Flügel zu spreizen.
"Ich bin ein alter Mann und habe viel Schreckliches erlebt. Aber das meiste ist nie passiert.“ --Mark Twain

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Hifumi
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Re: [24-08] License, registration, I ain't got none... [Hifumi, Le Guin]

Beitrag von Hifumi »

Hifumi sucht nach den passenden Worten, um einen Bezug zu finden zu etwas, was sie beide kannten.

"Diese Wände sind für dich wie - wie - Laurens Dachboden" stellt sie einen Bezug her zu dem Roman, den sie beide kannten. "Aber anstatt Ehemännern erscheinen Texte. Und wie Lauren kannst du die Art wie sie entstehen niemandem zeigen, ohne für verrückt gehalten zu werden. Und auch Lauren wollte am Ende einfach nur den ganzen Dachboden niederbrennen."

Die Japanerin nestelt an ihrer pinken Gebetskette.

"Ehrlich gesagt konnte ich Lauren da gut verstehen. Ich fände das auch furchtbar, plötzlich einen Ehemann zu haben, der über mich verfügen darf, in einer Welt in der alle denken dass ich schon immer verheiratet war und in die ganze Sache eingewilligt habe. Und wo es kein Entrinnen gibt, nur der Austausch des einen Ehemanns gegen den anderen."

Ihr Blick schweift zu dem T-Shirt mit den darin versteckten Heften, und sie wirkt einen Moment so als wolle sie noch etwas hinzufügen zu dem, was sie persönlich daran stören würde wenn sie Laurens Schicksal teilen würde einen Ehemann aufgenötigt zu bekommen.
Aber sie verkneift es wortwörtlich, als sie die Lippen zusammenpresst und die Gebetskette fest umklammert. Die Gebetskette, die das Glaubensgebäude widerspiegelt das vorgibt, welche Verhaltensweisen, Gefühle und Sorgen für eine gläubige junge Frau schicklich und welche verboten sind.
Auch Hifumi hatte Dinge, bei denen sie sich nackter als nackt fühlte. Und die sie sich nicht mal vor sich selbst eingestand - noch konnte sie sich selbst damit belügen dass das nur eine Phase wäre, eine jugendliche Verwirrung, ehe sie sich in den für sie vorgesehenen Lebensentwurf annahm, sich einem Ehemann unterstellte und zum gefügigen Heimchen am Herd wurde, gerade noch rechtzeitig ehe sie als unverkäuflicher Weihnachtskuchen galt, als eine Lady who doth protest too much, methinks.

"Bei dir ist es wohl ähnlich. Nur dass Niederbrennen dir nicht helfen wird, die Texte werden dich weiter heimsuchen, und sie müssen raus.
Und abbrennen in einem so eng bewohnten Mietshaus ist auch keine gute Idee. Man sollte sie eher überstreichen."


Ihr Blick streift über das Drecksloch und seinen Zustand, und sie stellt sich einen Moment vor, wie es wirken würde wenn sie und ihre Schwestern den Boden mit Zeitungspapier auslegen und das Wochenende damit verbringen, die Wände strahlend weiß zu machen. Ein amerikanisches geflügeltes Wort über Schweine und Lippenstifte kommt ihr in den Sinn.

"Oder übersprühen. Das ginge wohl schneller und würde auch nicht viel verschlimmern."
"Auf jeden Winter wird unweigerlich ein Frühling folgen."
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Le Guin
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Re: [24-08] License, registration, I ain't got none... [Hifumi, Le Guin]

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"Der Preis der Freiheit sind die Ketten", sagte Liza unvermittelt und richtete sich auf. Der zusammengebundene Schlafsack und die Camping-Tasche mit Klamotten lagen zu ihren Füßen.

"Bist du schon einmal frei gegangen? Ohne irgend etwas, meine ich? Ohne Erwartungen deiner Schwestern oder Benimmregeln aus deinem Tempel, aus Japan, aus Amerika, egal von woher? Ohne vorgeschriebenen Weg - so, als müsstest du deinen eigenen Weg überhaupt erst finden, dann machen und jeder Schritt ist der erste, den es gibt?" Gedankenlos einfach zückte Liza einen stummeligen 2B-Bleistift und schrieb an die nächstgelegenste Wand:
Erster Schritt im Schnee,
leise flüsternd weiße Welt,
Fußspuren erblühn.
Sie sah kurz darauf, dann drehte sie sich herum zu Hifumi und hielt ihr den Bleistift hin. "Deine Macht nimmt dir die Illusion, dass die Ketten unzerbrechlich sind. Aber es ist genug Macht, dass du bestimmen kannst, dass sie es sind. Doch bevor du dich selbst kettest, solltest du vielleicht erst sehen, was es sonst noch gibt. Ich bin keine sehr patriotische Amerikanerin, doch selbst mir fällt auf, dass du dein Un-Wissen ebenso sehr hütest wie deine Un-Schuld."

"Mein Laster, aufgrund meiner Jugend, ist Un-Geduld, also stelle ich diese Worte auf wie Soldten auf einem Schlachtfeld, eine Herausforderung, das gezogene Schwert, Wort in der Stille:
Der Preis der Freiheit sind der Halt der Ketten.
Die größte Sünde für einen Magier ist die Ignoranz.
Was ist gehütetes, in Eisen gewappnetes Un-Wissen?"
Mit einem Bleistiftstummel-Strich durch die Luft unterstrich Liza ihre Herausforderung und drehte den Stift dann so, dass sie das zugegebenermaßen sehr kurze Ende wieder Hifumi hinhielt.
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Hifumi
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Re: [24-08] License, registration, I ain't got none... [Hifumi, Le Guin]

Beitrag von Hifumi »

"Frei gehen? Ohne die Regeln meines Tempels!?"

Hifumi muss sich einen Moment an einer der besudelten Wände festhalten, so als ob ihr schwindelig werden würde bei dem Gedanken, sich völlig frei zu machen, sich völlig loszulösen von den Erwartungen ihrer Religion, ihres Tempels, ihrer Glaubensschwestern und der umgebenden Kultur.

"Frei gegangen bin ich noch nie. Ich habe mein ganzes Leben innerhalb des Tempels verbracht. Da war immer jemand, der darauf aufgepasst hat dass ich zu einem guten Mädchen erzogen werde - anständig, brav und gehorsam.

Ich trage Verantwortung für mehr als nur für mich alleine. Ich trage Verantwortung für diese Missionsreise, für meine Schwestern, für meinen Tempel. Nur darum darf ich dieses Land legal bereisen, nur dafür bekomme ich mein Stipendium. Und ich genieße dieses Vertrauen nur, weil ich bewiesen habe dass ich ein gutes Mädchen bin."


Ihr Blick wandert wieder zu dem versteckten Heft - verstohlen, so als ob sie, die erwachsene Frau etwas verbotenes begehren würde, für das sie erst um Erlaubnis fragen müsste.

"Aber ich habe dafür verzichten müssen. Auf Erfahrungen, die für andere Heranwachsende normal sind, die sich aber nicht gehören für ein gut erzogenes Mädchen."

Wieder der verstohlene Blick zum verbotenen Heft, ehe Hifumi etwas eingesteht.

"Ich habe ehrlich gesagt Angst vor meinem nächsten Lebensabschnitt, dem der erwachsenen und verheirateten Ehefrau, deren weibliche Gehorsamkeit von gegenüber dem Vater zu gegenüber dem Ehemann übergeht. Ich kann nicht besonders gut kochen, und ich kann nicht besonders gut mit Kindern. Ich fürchte ich werde Schande auf mich laden."

Die junge Japanerin senkt ihren Kopf leicht.

"Außerdem... Ich mag den Gedanken nicht, mit einem Mann, hm, zusammen zu sein. Ich sollte mich eigentlich schon darauf vorfreuen, darauf meine so lange gehütete Un-Schuld dem Oberhaupt meines neuen Haushalts schenken zu können.
Stattdessen..."


Hifumi beißt sich auf die Lippe.

"Aber ich weiß auch nicht wie das funktionieren soll, wenn zwei Mädchen sich... gern haben... und... zusammenziehen. Ich meine, wie machen sie den Übergang vom jungen Mädchen zur erwachsenen Frau und Mutter? Und wie funktioniert das, ohne Mann des Hauses als Vorstand der entscheidet?"

Die behütete Betschwester hatte ein sehr traditionelles Familienbild vorgelebt und eingetrichtert bekommen, als einzig möglichen und moralisch aufrichtigen Lebensentwurf. Bisher hatte sie sich damit arrangieren können, solange sie die Rolle der guten unschuldigen Tochter annahm. Klammerte sich immer noch an die YWD und begleitete als alte Jungfer im reifen Alter von 24 Jahren einen Missionstrip, der eigentlich für sehr viel jüngere Frauen gedacht war.
Dass es auch ganz andere Lebensentwürfe gäbe, die ihren Neigungen eher entgegen kämen, darüber hatte sie viel Un-Wissen. Und hatte vor diesen eben so viel Angst wie davor, sich einem Ehemann untertan zu machen und ihn über sie und ihre Un-Schuld verfügen zu lassen.
"Auf jeden Winter wird unweigerlich ein Frühling folgen."
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Le Guin
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Re: [24-08] License, registration, I ain't got none... [Hifumi, Le Guin]

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Liza, Le Guin, Lavenza, Lacerda hörte zu und versuchte, sich zu erinnern. Hifumi war wie hunderte und tausende andere junge Frauen zu allen Zeiten, an die sie sich erinnerte. Sie wusste nicht, aus welcher Realität genau ihre Erinnerungen stammten, doch es galt meistens, bei dieser Frage großzügig mit den Antworten zu sein. Sie wusste nur, dass Hifumis Fragen, Zweifel, Ängste und Erfahrungen ebenso häufig waren wie sie schwer waren. Manchmal unüberbrückbar schwer, so dass junge Frauen in den Abgrund dieser Ängste fielen und in der Dunkelheit verschwanden oder im Aufprall zerschlagen und zerbrochen wurden.

Sie überlegte eine Weile und meinte dann: "Du hast Verantwortung für all das, was du gesagt hast. Aber auch für dich selbst. Ein Teil von dir ist erwacht und keine von deinen Schwestern kann diese nächsten Schritte für dich übernehmen. Sie können aber die anderen Verantwortungen tragen oder nicht? Sie scheinen es sogar zu wollen."

Liza ging herüber zu den alten Playboy-Heften und zog sie hervor. Interessiert studierte sie die eher spärlichen Texte auf dem Hochglanz-Cover.
"Es hat sie immer gegeben, die etwas anderes Leben", sagte sie dann. "Frau-und-Frau, oh Japans Lilien! Mann-und-Mann - ohh, ich erinnere mich an die Passage von "the passion of the cut sleeve". Liza "schnitt" mit dem Playboy-Heft den eigenen Hemdsärmel ab und lächelte etwas schief.

"Vielleicht ist der erste Schritt, um deiner Angst zu begegnen, der, dass du siehst, was es schon seit Jahrtausenden gab und was es gibt." Sie reichte Hifumi das Heft herüber, aber bemerkte dann kritisch: "Das Heft ist für Männer von vor dreißig Jahren gemacht, nicht für Frauen von heute. Antworten auf deine Fragen findest du hier drin wahrscheinlich nicht."

Sie lächelte verschmitzt. "Aber sie lassen sich sicherlich finden, wenn du willst. Ich will aber deinen Kokon nicht für dich aufreißen, Schmetterling."
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Hifumi
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Re: [24-08] License, registration, I ain't got none... [Hifumi, Le Guin]

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"Japans Lilien? Du meinst... Yuri!?"

Hifumi erschaudert ersichtlich und hält erschrocken die flache Hand auf den Mund. Die junge Frau, der schon gewöhnliche Romanzen verboten wurden, die das gewünschte Verhältnis von unterwürfiger Frau zu forschem Mann reproduzierten, hatte erkenntlich noch mehr Angst vor Medien, in denen zwei Frauen zusammen aus ihrer vorgegebenen Rolle ausbrechen.

"Der Tempel würde mich hochkant rauswerfen. Und auch bei meinen Schwestern... Sie würden sicher schlecht von mir denken, und hätten Angst davor mit... mit so einer wie mir so engen Raum zu teilen. Begehrliche Gedanken zu wecken, wenn sie aus der Dusche kommen, oder wenn sie in Schlafwäsche entspannen."

Hifumi schaut sich verstohlen nach rechts und links um, ehe sie das Cover genauer anschaut. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, als die leicht bekleidete Dame in aufreizender Pose genauer betrachtet. Mit der freien Hand greift die junge Japanerin sich ins Haar und imitiert die Stellung. Stellt sich einen Moment vor die gleiche Wirkung auf andere Mädchen mit ähnlichen Vorlieben zu haben.
Als sie sich dieser Gedanken gewahr wird, ziehen sich Hifumis Augenbrauen zusammen, und pfeffert das Heft mit Gewalt auf den Boden.

"Was für eine Dirne!!! Eine billige, nuttige Dirne! Ich bin immer noch ein anständiges Mädchen, ich bin nicht so wie die!"

Die Japanerin war wütend. Wütend darauf, welche Wirkung das Covergirl auf sie hatte. Wütend darauf, wie sie begehrte die gleiche Wirkung auf gleichgesinnte Mädchen zu haben.
Um mit sich ins Reine zu kommen, müsste Hifumi sich ihre Gefühle und Wünsche eingestehen. Das Covermädchen zu beschuldigen und beschämen und sich moralisch über sie zu erheben war da einfacher für die konservative junge Frau. Ihre ganze Kindheit und Jugend hatte daraus bestanden, sich in die Gußform des idealen anständigen Mädchens pressen zu lassen. Und dafür wurde ihr erlaubt, sich moralisch überlegen zu fühlen gegenüber den Dirnen und Schlampen, die unanständige Dinge machten die Hifumi verboten waren.

Dieser Schmetterling hatte noch einen weiten Weg vor sich, um sich aus seinem gläsernen Kokon zu befreien - und musste sich erst einmal eingestehen, dass dieser Kokon zu eng war und die falsche Form hatte, wenn sie nicht seelisch verkümmern wollte.
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