Hifumi ist ein wenig perplex, als Elena ihre Meinung zur Stellung der Frau in Frage stellt.
"Wir Frauen sind nicht im Nachteil, uns ist nur eine andere Rolle zugedacht. Das Lotus-Sutra berichtet von der Drachentochter, die ihre Weiblichkeit zurücklässt um vollkommene Erleuchtung zu erlangen, denn nur Männer können sie erreichen.
Eine gute Frau unterstützt die Männer um sie herum und folgt den drei Gehorsamkeiten - gegenüber dem Vater als Jungfer, gegenüber ihrem Ehemann als Frau, und gegenüber ihren Söhnen als alte Mutter. So sammelt sie gutes Karma an, um hoffentlich in einer höheren männnlichen Form wiedergeboren zu werden die reif ist für die Erleuchtung."
Ganz überzeugt klingt Hifumi aber nicht - sie hatte gegenüber Elena
schon einmal durchblicken lassen, dass sie trotz ihres reifen Alters von 24 Jahren immer noch davor zurückschreckte in den Stand der Ehe zu treten und sich einen Ehemann zu suchen, dem sie sich gehorsam unterwerfen konnte - nein,
musste.
Es gab einen Widerspruch zwischen dem gläsernen Gefängnis des Sektenumfeldes, das Hifumi sehr klare und enge Vorgaben gab wie sie ihre Zukunft gestalten durfte und welche Lebensentwürfe sozial akzeptabel waren, und auf der anderen Seite Hifumis persönliches Streben, das einem Dasein als gefügiges Heimchen am Herd so lange wie möglich auswich und sich an akzeptable Ausreden so lange wie möglich klammerte, vom Buddhismusstudium über das Auslandssemester bis hin zum Missionstrip.
Das Paradigma der Mehrheitsgesellschaft im pazifischen Nordwesten fände die Erwartungen einer Sekte, die das japanische Familienbild der Nachkriegszeit reproduzierte und verstärkte, mit der Frau als treusorgendem und gehorsamen traditionellen Eheweib, sicherlich furchtbar antiquiert und rückständig.
Elena hatte sicher nochmals ganz andere Vorstellungen dazu, wie Hifumis Dharma aussah und wie sie es erfüllen konnte. Sehr wenige davon dürften ein Dasein als Tradwife beinhalten, das sich vor den Männern in ihrem Umfeld instinktiv unterwarf.
Hifumi nickt.
"Ja, nicht jedes Schicksal lässt sich binnen einer Lebenszeit zum Besseren wenden. Wahrscheinlich sogar die Mehrzahl aller Schicksale. Die junge Frau von heute gehört sicher dazu - drogensüchtig, verurteilte Mörderin, und hatte sicher auch einen schwierigen Start ins Leben. Aber ich gebe sie trotzdem nicht auf. Ich kann ihr helfen gutes Karma dazu zu gewinnen soweit ich ihr helfen kann, und wenn ich es nicht mehr kann, kann ich ihr immer noch einen guten Tod gewähren für eine Wiedergeburt unter verbesserten Umständen."